Clemens Berger und Beatrice Simonsen im Gespräch am 22. Dezember 2014 im Café Mentone in Wien. Das Gespräch wurde anlässlich der Recherche für die Anthologie “Grenzräume. Eine literarische Spurensuche im Burgenland” (edition lex liszt 12, 2015) geführt.
Beatrice Simonsen: Wie sind Sie vom Burgenland nach Wien gekommen?
Clemens Berger: Ich wurde in Güssing geboren, lebte aber immer in Oberwart und wir hatten eine kleine Wohnung in Wien, das heißt ich war schon als Kind und als Jugendlicher immer in Wien. Das stand nie in Frage dort zu studieren, das hat sich quasi natürlich ergeben.
Mit dem Ziel Schriftsteller zu werden?
Ja, ich habe früh begonnen zu schreiben. Ich wollte eigentlich Fußballer werden, nur ging das nicht mehr, ich habe mich verletzt. Aber ich habe so mein Geld verdient bis zwanzig ungefähr. Und habe aber schon früh begonnen zu schreiben, das hat mich immer interessiert. Ich hatte eine alte Schreibmaschine von meinem Großvater, auf der hab ich geschrieben, mit zehn oder elf. Das hab ich geliebt – einfach das Haptische, das Tippen. Und ich war eine Leseratte. Das kam noch dazu. Ich hatte sehr unterschiedliche Interessen, war viel draußen, machte viel Sport, war immer auch ein Leser. Ich glaube, so hat das begonnen. Ich hab versucht, die Geschichten zu imitieren, da kamen so Kinder- und Abenteuergeschichten für Jugendliche dabei heraus, aber nie mehr als ein, zwei Seiten.
Und dann hab ich begonnen Gedichte zu schreiben, in der Art „Erich Fried für Arme“, und im Maturajahr hab ich einen Aufsatzwettbewerb gewonnen. Der Preis war von der EU gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen Xenophobie ausgeschrieben. Der Gewinn war eine Reise nach Straßburg, Brüssel, Luxemburg und zehn Tage Israel. Ich hab meinen 18. Geburtstag in Israel verbracht und dachte, das ist irgendwie schön, wenn man mit dem Schreiben an andere Orte kommen kann. Ich glaub, das war der Punkt, an dem ich versucht habe, das Schreiben ernster zu verfolgen.
Ich hab’ dann zu studieren begonnen und war während des Studiums ständig am Schreiben. Ich kann mir das heute gar nicht mehr vorstellen, ich muss da sehr wenig geschlafen haben (lacht). Ich hab einfach Unmengen von Texten geschrieben – von denen viele furchtbar sind – und hab die ersten Erzählungen angeboten. Ich hatte keine Ahnung von irgendetwas, wie der Literaturbetrieb funktioniert – eine schöne Naivität, die ich mir heute fast zurückwünschen würde. Da sind dann in verschiedenen kleinen Zeitschriften und im Rundfunk immer wieder Erzählungen erschienen und so schön langsam ist es gelungen im „Standard“ und in der „Presse“ etwas zu veröffentlichen. So hat sich eines aus dem anderen ergeben.
Hatten Sie literarische Vorbilder?
Vorbilder eigentlich nicht, Autoren und Autorinnen, die ich gerne gelesen habe, schon. Als ich Philosophie studierte, war das bei mir immer so an der Grenze: Wird das ein Essay oder doch eine Geschichte? Das war immer so ein bisschen in der Schwebe.
Und wie kam es zu Ihrem ersten Buch?
Peter Wagner meinte: „Komm, du brauchst einmal ein Buch, such deine besten Texte zusammen!“ Und so kam ein Buch heraus, das in der Form nie geplant war – 2003 bei der edition lex liszt 12, „Der gehängte Mönch“. Das sind Erzählungen, Kürzestgeschichten. Das war das erste Buch. In dem gibt es noch viele Geschichten, die im Burgenland spielen. Es gab sehr schöne Reaktionen, obwohl es in einem Kleinstverlag – damals noch ein Ein-Mann-Betrieb – erschienen ist. Und trotzdem gab es eine ganze Seite von Erich Hackl, eine Hymne in der „Presse“. Ich hab mich natürlich wahnsinnig gefreut – ich kannte ihn noch nicht damals, wir haben uns über das Buch angefreundet. Ich glaub aufgrund dessen, dass es zwei, drei wirklich schöne Kritiken gab, hab ich einen Brief bekommen vom Haymon-Skarabäus-Verlag. In einer Literaturzeitschrift war ein Auszug aus „Paul Beers Beweis“ abgedruckt und die wollten den Roman sehen und so ist das schön langsam entstanden. „Paul Beers Beweis“ hat eine komische Chronologie. Das war mein erster Roman – der allererste Roman liegt immer noch in der Schublade, das ist vielleicht besser so! – und der war schon längst fertig, aber es gab zuerst keinen Verlag, der ihn genommen hat. So ist er 2005 erschienen und ist eigentlich aus 2002, 2003. Das hat sich am Anfang alles verzögert oder verschoben.
Das heißt Peter Wagner hat Sie gefördert?
Ja, das war der Geburtshelfer, absolut. Die Bekanntschaft mit ihm hat zur Studienzeit begonnen, als ich mich damit beschäftigt habe, das zu lesen, was es im Burgenland gibt. Da haben wir uns ziemlich schnell angefreundet. Das Schöne war: Da gibt es jemanden zu dem man gehen kann, mit dem man über alles reden kann. Da gibt es keine Tabus. Diese Atmosphäre ist sehr, sehr wichtig – dass man bekräftigt wird. Wenn es einem schlecht geht, fährt man hin, trinkt viel Wein und schläft zwei, drei Mal dort, dann geht’s einem wieder besser. Und das natürlich in Verbindung mit dem OHO (Anm.: Offenes Haus Oberwart), wo einfach viel möglich war und wo man ernst genommen wurde, wo man experimentieren , etwas ausprobieren konnte. Das war schon sehr wichtig.
Literarisch gesehen ist das Burgenland ja lange brach gelegen, es gibt in der Vergangenheit wenige österreichweit und gar keine international bekannten Namen, außer Hertha Kräftner…
… sonst ist es ein bisschen Wüste, nein: Steppe … (lacht)
… und da wurden Sie als erstes großes Talent wahrgenommen. Belastet Sie das?
Ich habe das gelesen, aber es belastet mich überhaupt nicht. Erich Hackl, der in der „Presse“ schrieb, dass mit mir das Burgenland in die Literatur einträte – das hat manche Leute verärgert, was mir aber vollkommen egal ist. Was ist überhaupt burgenländische Literatur? Das ist wirklich schwierig zu beantworten. Über den Grenzraum Burgenland ist von mir ein Essay mit dem Titel „Vorhang auf, Vorhang zu“ in dem Fotoband „Reisen im Niemandsland“ (Anm.: 2009) von Kurt Kaindl erschienen. Er hat den Eisernen Vorhang fotografiert und dazu gab es zwei Texte, einen von Karl-Markus Gauß und einen von mir, wo ich mich damit auseinandersetze: Die Grenze, was ist das eigentlich?
Gibt es dieses Thema bei Ihnen: Wo komme ich her?
Ich sag dann eher, ich sei aus dem Südburgenland, lustig, dass ich das eingrenze. Das kam in den ersten Büchern sicher stärker vor, aber ich komme auch immer wieder darauf zurück in meinen Texten oder es taucht auf in meinen Geschichten. Das ist das, was ich kenne, wo man aufwächst, wobei sozusagen die ganze Welt in der kleinen Welt liegt – die wird erst später größer. Diese Erfahrung leugnen zu wollen, wäre lächerlich.
Wie wächst so eine Geschichte in Ihnen, woran orientieren Sie sich?
Es gibt immer wieder Ideen und es gibt mehrere Notizbücher, in denen verschiedene Konstellationen, Ideen, Figuren notiert sind. Es gibt ein Ereignis, das erzählt werden soll. An einem gewissen Punkt ist die Zeit reif für die Geschichte und dann versuche ich sie zu schreiben. Ich hätte fünf, sechs, sieben Geschichten, die ich schreiben könnte oder wollte, aber wie das dann genau… das muss reifen, man geht damit herum, mit den Figuren und der Geschichte, bis man sagt „jetzt“. Das ist bei mir eine Mischung aus Erfahrung, die transponiert wird, und Erlebtem, Gehörtem, Gelesenem und Fantasie… so funktioniert das bei mir, das kommt in einen Topf und da rührt man um (lacht).
Sie leben zeitweise in Berlin, fließt das in ihre Geschichten ein?
Ich kann in Berlin sehr gut schreiben, aber ich hab noch nicht über Berlin geschrieben. Meine Figuren sind da noch nicht angekommen, aber vielleicht weil sich etwas in mir sträubt, weil eh alle über Berlin schreiben. Ich ziehe ich mich da gern zurück und möchte einfach nur schreiben.
Ist der Literaturbetrieb manchmal zu anstrengend, die vielen Lesungen…?
Er nimmt Zeit weg auf der einen Seite, aber ich lese sehr gern. Nur beim „Streichelinstitut“, da dachte ich nach 40 oder 50 Lesungen: Jetzt reicht’s, ich bräuchte das Buch schon nicht mehr, ich könnte auch ohne es lesen. Da verliert man die Motivation. Meistens kommen immer die ähnlichen Fragen. Aber sonst lese ich gern, es macht mir Spaß. Der Betrieb ist furchtbar wie jeder Betrieb, nicht besser und nicht schlechter als ein anderer.
Die Bücher müssen ja verkauft werden…
Es ist Kapitalismus. Das ist unangenehm, aber ich muss von etwas leben. Wenn man bei großen Verlagen ist, ist man erstaunt, wer da aller mitredet: Wenn der Vertreter das Cover nicht mag, muss es anders ausschauen, weil er es verkauft. Das ist natürlich Blödsinn, eine Ästhetik, die man den Leuten unterschiebt, weil man sagt, die wollen das so. Das stimmt ja nicht, es schauen alle Bücher gleich aus mittlerweile. Es gibt noch drei, vier Verlage, die es anders machen, aber bei den großen Verlagen schauen die Cover alle sehr sehr ähnlich aus.
Sie haben schon mit verschiedenen Verlagen zusammengearbeitet …
Ich bin jetzt bei Luchterhand, das wird sich so schnell nicht ändern. Es ist doch besser bei einem großen Verlag zu sein. Ich hatte immer großes Glück mit meinen Lektoren …. ich habe gern, wenn jemand verständnisvoll mitliest und jemand meine Geschichten kennt und gut mitdenkt. Ich würde auch nie mehr zu einem kleinen österreichischen Verlag zurückgehen, weil man dann keine Bücher in Deutschland verkauft, weil sie die einfach nicht einkaufen. Das ist unfair, aber es ist so. Außer es wird einmal ein großer Preis vergeben. Aber sonst kommen die Bücher nicht wirklich auf den Markt, noch viel weniger die von einem ganz kleinen Verlag, so verdienstvoll der sein mag. Das Sprungbrett ist schon etwas Seltsames. Das ist so wie beim Fußball. Ich habe bei Oberwart gespielt und da möchte man gern zu Rapid – aber in Wirklichkeit will man nach Barcelona oder zu Bayern München… (lacht).
Mein Hauptwunsch war immer, publiziert zu werden. Das hat mit den kleinen Erzählungen in Zeitungen und Zeitschriften begonnen … das hab ich immer probiert, hab auch viele Ablehnungen bekommen und das sehr persönlich genommen, bis ich verstanden habe: Die Leute haben die Vorstellung von Literatur und die eine andere… Ich wusste ja gar nichts, hatte wirklich keine Ahnung, Null. Das andere waren Essays, Aufsätze, Buch-Rezensionen, das ist mir ziemlich schnell gelungen und das war großartig für mich… auch in Debatten meine Meinung kund zu tun. Das war einer der Hauptgründe für mich zu schreiben, eine politische Meinung zu äußern, wenn einen etwas stört, wenn man unzufrieden ist mit der Welt und allein damit, dann muss man es in Worte fassen.
Und inzwischen können Sie vom Schreiben leben?
Ich habe immer versucht, damit Geld zu verdienen. Das ist schwierig genug. Am Beginn war viel Frustration und die Freude, wenn irgendwo etwas erscheint. Man will immer erfolgreicher sein, aber ich bin nicht unzufrieden. Es geht auch um’s Geld, um das Davon-leben-können, aber ich schreibe, um gelesen zu werden.