Franziska Füchsl: Tagwan

Der Platz lag zu gut zwei Drittel noch im Schatten, und in dessen Schutz tummelten sich, geschäftiger als an den lichten Ständen, Trauben von Leuten mit Körben und Taschen, Wäglein und Rucksäcken: sie halten, wägen, mustern Sache für Sache, bedacht – zuvorderst gibt niemand Acht auf die lautstarken Trichter und Dickhälse, die in ein über den Dingen liegendes Areal grölen, wo die mächtigen Stimmen gegenseitig sich aufwiegeln, die Luft durchschneiden, sich weigern einzuknicken. Und aus diesem Getös, das dem Markt die Mitte gibt, löse ich ein Wort heraus, und noch eins, und eins, eins, und verstehe: »Isch!« Und ein weiteres: »Eisch!« Mehr noch: »Ischa Isch!“ und »Ischs Eisch!« Auch: »Ilch und Äs!«, »Umen!«, »Offe!«, »Esser Eiffen!«, »Üse!«, »Os!« Und da ich höre »Armes O!«, rutscht die Hand aus meinem versunkenen Staunen, und der sperrige Ast mit seinen laubgetarnt’ und spitzigen Zweigen peitscht mir ins Gesicht. »O! Üse! Eisch! Esse/ Isch! Ilch und Ä/ Esser Ei/ O/ Umen! Offe! Armes O!«

Längst schon wird die Alte in der Meute verloren sein. Der Bauer lag umgekippt neben mir, erfüllt von Geflatter und aufgeregtem Schnattern. Ich hob ihn auf, drückte den Ast, indem ich mich gegen ihn stemmte zur Seite – huschte durch. Die Tische und Stände und Wägen standen alle derart durcheinander, dass nichts am Markt den Weg freigab. Ein das Geschrei und den Eifer der Leute schneidender Pfiff traf mich – augenblicklich wusste ich, der Pfiff gilt mir, und ich suche die Alte, fahr auf Zehenspitzen den Platz hin und her schwenkend ab: unter all den Tüchern nicht das eine. Wieder der Pfiff – reißt diesmal meinen Blick mit sich hin zu einer über den Köpfen wankenden Krücke.

Den Bauer trug ich in Umarmung vor mir her, so dass auf meine Schritt sich zwar nicht achten ließ, aber ich seitlich nirgends anstieß. Mit dem Schnäbelchen am Stoff meines Shirts pickend – manchmal lupfte es nicht nur Stoff, auch einen kleinen Hauthader hie und da, doch ich fluche hinter zugebissenen Zähnen – fand ich mich eine Zeit lang abgelenkt vom Geschäft und ich konzentrierte mich auf den Weg. Der Krücke, die zwischendurch über den Leuten winkte, kam ich näher – schon in der Sonne, da stand ich an, vor einem Tisch mit bernsteinfarben gefüllten Einweckgläsern, die im Licht schimmerten. Dahinter die Alte, die der anderen etwas zusteckt, dass diese mir den Bauern abnimmt und ihn der Alten bringt, die sich auf einen niedrigen Hocker neben einem runden Beistelltischchen hat fallen lassen.

Die Frau vor mir explodiert: »Eni! Eni! Eni!« Mein vom Lichtspiel glitzernder Blick schrickt zurück, eilt auf die Alte, die ruhig sitzt, umherblickt – nichts verschreit. Grad da ihr Blick auch mich streift – und ich glaube, ein Zeichen – torpedieren die Arme der »Eni!« unsere Übereinkunft. Über den Tisch gebeugt, drängt sie mich zur Seite. Wohin mit mir? Da überschwappt mich ein Taumel, hier waren Füße unter meinen, die aus kreischenden Mäulern auf meinen Schädel brettern, nur die Blicke verhalten sich, unverrückbar auf die Sachen gerichtet. »Ürze!« waren am Nebentisch in wie vielen offenen Dosen aufgebahrt, verschiedenfarben, pulvrig oder grob – und eins neben dem anderem wurde in seinem Geruch vom nächst lauteren ausgestochen. Ein Stoß in meine Taille, jemand drängt vorbei, ich atme ruckartig ein, Schießpulver, das unverzüglich fehlgezündet Nasenwurzel und Tränendrüsen derart zurichtet, dass mit einem »Ha…« mein ganzes Gesicht eingetrenst ist. Von dieser Schockwelle hingerissen, lass ich mich fallen.

Wie ich auf den Knien halb unter dem Tisch der Eniverkäuferin mit der Schürze um die Augen tupfe und die Nase mir putze, flattert mein Geblinzle vor einem vollen Glas, das vor mir am Boden lag – wie konnte ich anders, als es der Sonne zu bringen? Kurz: Ich stibitzt’s, und die Alte, die immer mehr sieht, als ihr Buckel vorgibt – verriet mich nicht.

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Ausschnitt (S. 53-56) aus dem Prosadebüt „Tagwan“ von Franziska Füchsl. Es erzählt von Wanderschaften durch wunderliche Landstriche, in denen eine Scheuche, eine Wache und eine Lumpensammlerin tagwandeln. Begegnungen mit einer einbeinigen Puppe, einem sprechenden Spat, dem Flicker Woitsch und einer Zeichnerin akzentuieren das Widerspenstige, das allen Figuren und deren Ambiente anhaftet. Weitere Infos zum Buch unter folgenden Link Ritter Books.

Ab April 2020 bringt “Kunst und Literatur” Ausschnitte aus aktuellen Publikationen oder eigenständige Miniaturen in Text und Bild auf den Blog.

Foto: Kermikdodln von Franziska Füchsl © Marwin Strindt