Porträt Maria E. Brunner

Porträt der Südtiroler Autorin Maria E. Brunner
für die Zeitschrift BUCHKULTUR (Nr. 97 / 2005) von Beatrice Simonsen

Dezember 2004, Maria E. Brunner ist zu Gast in Wien, um ihren ersten Roman vorzustellen. Die gebürtige Südtirolerin lebt seit 15 Jahren in Deutschland und freut sich, dass ihr Buch auch außerhalb des “peripheren kleinen Kreises” – wie sie ihre Südtiroler Heimat nennt – interessiert. Hauptfigur des Romans “Berge Meere Menschen” ist das “Kostkind”, das den Ausbruch aus der Enge der Bergheimat in die Freiheit sucht. Die Autorin erzählt, jede Idyllisierung vermeidend, von den Schattenseiten einer Kindheit, die ein Leben lang abgetragen werden müssen.
Kurz fasst sie für mich den geschichtlichen Hintergrund des Romans zusammen: er beginnt in der Zeit des Faschismus, in der die Südtiroler von Mussolini und Hitler aufgefordert wurden zu “optieren”, was zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft bis hinein in die einzelnen Familien geführt hat. Eine Spaltung, die wie die Autorin sagt, bis heute unterschwellig andauert. Es sind “tradierte Konflikte”, die über die Nachkriegszeit hinaus weitergeführt wurden. Die Verarmung der Bauern, die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Landwirtschaft, die Chancenlosigkeit für akademisch Gebildete führten und führen noch zu einem Exodus aus der Enge des Landes. Keineswegs soll mit der zuweilen schroffen Darstellung der Dumpfheit, der Finsternis, der äußeren wie inneren Kälte dieser Bergwelt und ihrer Bewohner die Leistung des Bauerntums geschmälert werden. Es soll im Gegenteil aufzeigen, was hinter der vom Tourismus propagierten Fremdenverkehrsattraktion “Berg” an Monotonie und Eingeschränktheit steckt.
Im Roman erlebt das Ziehkind, das sich als Arbeitskraft auf dem Einödhof verdingt, einen vollkommenen Entzug persönlicher Freiheit, der einerseits vom Charakter des despotischen Bauern und andererseits von den Gesetzen der Bergbauernarbeit schlechthin aufoktruiert wird. Einzig die Jungbäurin, selbst eine Geächtete, versucht, dem Kind zu helfen, indem es ihm den Schulbesuch im Dorf und später in der Stadt ermöglicht. Erst als junge Frau gelingt dem “Kostkind” der Ausbruch aus der demütigenden Abhängigkeit. Ihr Ziel liegt am Meer tief im Süden, auf der “Insel”, die die Distanz zu den Zieheltern endgültig machen soll.
Hier verrutscht nun das Sehnsuchtsmotiv des Südens zu einer überlauten, überhellen, schrillen Gegenszene zur Stummheit und Lichtlosigkeit der Bergheimat. Maria Brunner betont, dass in den endlosen Zugfahrten, die zwischen den Bergen und den Meeren hin und herführen, die langsame Loslösung von der Vergangeneit stattfindet: es ist wie ein “zyklisches Kreisen, um an den tiefsten Punkt der Hölle zu gelangen”, die Katharsis ist vollzogen wenn alles abgebrannt ist. Die Autorin flicht Zitate schriftstellerischer Vorbilder wie etwa Ingeborg Bachmann ein, wobei sie erstaunt ist, dass das in Österreich nicht erkannt worden ist. Die Situation der Unterdrückung wiederholt sich auch in Liebesbeziehungen: der “Dichter” ist einer, “der vorgibt, einen Vorsprung zu haben”, der “Fremde” fühlt sich von der Zweisprachigkeit der jungen Frau bedroht und entledigt sich ihrer.
Als “Heimatroman” möchte Maria Brunner “Berge Meere Menschen” nicht definiert wissen, eher schon als “Anti-Heimat-Roman”, wie es ihn “aus weiblicher Sicht bisher noch nie gegeben hat”. Eigentlich wollte sie über jemanden erzählen, der sich aus der für ihn “ungünstigsten Situation überhaupt” aufzurichten vermag. “Die Sprache war mir das Wichtigste, die sich in Bildern ausdrückt, nicht in Gefühlen, nicht in einem psychologischen Vorgehen. Es ist eine sperrige Sprache, in stoßweisem Rhytmus ohne Interpunktion. Der Leser muss den Rhytmus selbst finden, soll über die Wörter stolpern, soll nicht zu schnell zu deren Inhalten vorstoßen”, um nicht der Versuchung von “Aha-Klischees” zu erliegen. Berge und Meere sind uralte und oft benutzte Motive. “Man sollte sich zuerst bei dieser verbogenen Sprache aufhalten müssen”, die von der Sprachlosigkeit der Figuren geprägt ist. Demnach gibt es auch keine Dialoge in diesem Buch, nur “lancierte Botschaften”, die ohne Widerhall bleiben. “Die Personen arbeiten mit fremden Stimmen, weil sie keine eigenen haben. Es ist ein Stimmenchor der Menschen dort, die die Gerüchteküche brodeln lässt, die mit geliehenen Stimmen Außenseiter ausschließen.”
Welchem Thema Maria Brunner sich nun, da das Thema Südtirol praktisch in einer Katharsis bereinigt ist, zuwenden möchte? Ohne zu zögern kommt die Antwort: das Ausgrenzen von Fremdem beschäftigt die Autorin nachhaltig. Auch in Deutschland ist sie immer wieder damit konfrontiert. Die Spielarten der Ausgrenzung sind verschieden.
In ihrem ersten Buch hat die Autorin eine bis an die Schmerzgrenze gehende Härte und Kompromisslosigkeit in der Darstellung gezeigt. In einem weit ausholenden Rundumschlag trifft sie alle wunden Punkte ihrer ehemaligen Heimat und lässt keine Aufweichung des Bildes zu. Ein unbequemes Buch, sprachlich gerade und punktgenau, aufrührend, empfehlenswert für solche, die gerne, so wie Maria Brunner, die Dinge konkret benannt haben wollen, ohne in Irrationalität abzugleiten.

Beatrice Simonsen

Maria E. Brunner: “Berge Meere Menschen”, Folio Verlag, Wien Bozen, 2004

M.E. Brunner, 1957 geboren in Pflersch/Südtirol, lebt heute in Schwäbisch Gmünd. Übersetzerin des sizilianischen Autors Vincenzo Consolo. Ihr erster Roman zeigt in strengen Bildern und bisweilen brutaler weil direkter Poesie die Schattenseiten des Lebens in den Bergen und den Aufbruch eines “Findelkindes” in die persönliche Freiheit.