Günter Unger Interview

Günter Unger und Beatrice Simonsen im Gespräch am 2. Mai 2015 in Großhöflein. Das Gespräch wurde anlässlich der Recherche für die Anthologie “Grenzräume. Eine literarische Spurensuche im Burgenland” (edition lex liszt 12, 2015) geführt. Hier die Langfassung:

Beatrice Simonsen: Da es von den Internationalen Hörspieltagen, die 1970 von Jan Rys begonnen wurden und die Sie bis 2002 weiterführt haben, kaum Dokumentationen gibt, erzählen Sie mir bitte davon …

Günter Unger: Initiator der Hörspieltage im Burgenland war der aus der CSSR, also der kommunistischen Tschechoslowakei, 1948 bei Nacht und Nebel nach Österreich geflüchtete Schriftsteller Marcel Nerlich, der sich als Autor überwiegend von Hörspielen dann den Künstlernamen Jan Rys zugelegt hat. Rys ist der tschechische Name für die Wildkatze Luchs. Von Wien zog Rys in die Bundesrepublik Deutschland weiter, wo ihm 1960 der Durchbruch als Künstler glückte. Und zwar mit seinem Hörspiel „Grenzgänger“, dessen Text Erfahrungen seiner eigenen Flucht aus dem Ostblock poetisch umsetzte und nach der erfolgreichen Erstproduktion durch den Norddeutschen Rundfunk in über 30 Sprachen übersetzt und in diesen Ländern (u.a. in Japan) nachproduziert wurde.

Sein Wunsch, in die renommierte Gruppe 47 aufgenommen zu werden, erfüllte sich allerdings nicht. Rys kehrte wieder nach Österreich und Wien zurück und gründete auf der Burg Karlstein in Niederösterreich ein eigenes, international ausgelegtes Autorentreffen, das er am Beginn der 1970er- Jahre in die mittelburgenländische Gemeinde Unterrabnitz verlegte. Dort hatte er inzwischen eine stillgelegte Wassermühle an der Rabnitz erworben und adaptiert und darin seinen neuen Lebensmittelpunkt gefunden und hier neben seiner Schriftstellerei (wie er in einem seiner Prosatexte schildert) auch eine Katzenzucht betrieben.

In Unterrabnitz trafen sich bis zum Tod von Rys 1986 jedes Jahr regelmäßig für eine Woche Ende Mai/ Anfang Juni Hörspielautoren, Regisseure und Dramaturgen aus verschiedenen Ländern, um sich mit neuen Hörspielmanuskripten, aber auch mit bereits fertigen Produktionen deutschsprachiger Rundfunkanstalten diskursiv und oft auch recht kritisch auseinanderzusetzen.

Diese Initiative von Jan Rys hat der damaligen bodenständigen Literaturszene und Literaturlandschaft im Burgenland einen starken Impuls versetzt. Hier bisher unbekannte Intellektualität und Internationalität, repräsentiert durch erstrangige Autoren, haben sich befruchtend auf eine ganze Reihe der hier im Land ansässigen Autoren und Schriftsteller ausgewirkt. Jan Rys wurde zum ersten Präsidenten des burgenländischen PEN- Clubs bestellt.

Nach Unterrabnitz ist Rys mit einer aus Deutschland stammenden Frau zugezogen. Diese Ehe ging auseinander und Rys heiratete in der Folge ein junges Mädel aus dem Dorf, das sich noch in Ausbildung zu einer Lehrerin an einer landwirtschaftlichen Fachschule befand.

Im ersten Jahr nach seinem Tod – Rys ist mit 56 Jahren an den Folgen eines aggressiven Karzinoms gestorben – wurden die Hörspieltage noch in der Unterrabnitzer Mühle abgehalten. Danach wollte Roszi Nehrlich, Witwe und Erbin des Frühverstorbenen, keine Fortsetzung dieser Veranstaltung mehr auf ihrem Anwesen. Schon einige Jahre davor war die Organisation, Finanzierung und Programmgestaltung der Hörspieltage weitgehend von der Kulturabteilung des ORF- Burgenland, deren Leiter ich von 1970 -2001 war, übernommen worden. Da der Kern der Teilnehmer aus West- und Ostdeutschland, Kroatien, Slowenien, Israel, Österreich und der Schweiz eine Fortsetzung wünschte, habe ich mich auf die Suche nach einem neuen Veranstaltungsort begeben und ihn für das Jahr 1988 im Eisenstädter Haus der Begegnung gefunden.

Die Tagung dieses Jahres verlief durchaus erfolgreich, das katholische Ambiente des Hauses, das ja das Bildungshaus der Diözese Eisenstadt ist, wurde jedoch von dem überwiegend areligiösen Teilnehmerkreis nicht besonders goutiert. Daher begab ich mich weiter auf die Suche und landete schließlich in der Freistadt Rust, wo dem ganzen Projekt mein Freund und Langzeitbürgermeister Dipl. Ing. Heribert Artinger den sogenannten Seehof der Freistadt kostenlos zur Verfügung stellte, dazu auch reichlich Wein aus der Stadtkellerei anliefern ließ und obendrein noch eine tüchtige Reinigungskraft für die Tagungsräume abstellte. Für die Leihgabe und Installation der erforderlichen Geräte sorgte all die Jahre das ORF- Landesstudio Burgenland. Der ORF stellte neben mir auch meine Mitarbeiterin Lore Mädl als Tagungssekretärin zur Verfügung. Und der zunächst in Köln, dann in München lebende Schweizer Autor Robert Stauffer, der schon in Karlstein mit von der Partie um Jan Rys war, übernahm gemeinsam mit mir die Einladungen zu den Tagungen sowie deren konkrete Programmgestaltung und Abläufe.

Das einzigartige Flair des Städtchens mit seiner weitgehend erhalten gebliebenen historischen Architektur, den vielen einladenden Weinschenken und die unmittelbare Nähe zum Neusiedlersees ließen bald die verlorene dörfliche Idylle am Rabnitzbach vergessen. Bürgermeister Artinger lud jedes Jahr zu einem Empfang in den schönen Innenhof des Kremayrhauses. Und einige Male organisierten wir für die von weither angereisten Tagungsteilnehmer Schifffahrten auf dem Neusiedler See, um ihnen die Besonderheiten dieses Steppensees vor Augen zu führen. In den letzten Ruster Jahren nahmen an diesen internationalen Hörspieltagen bis zu achtzig Personen teil.

Gab es Unterschiede im Charakter der Veranstaltungen in Unterrabnitz und Rust ?

Günter Unger: Oh ja ! Vor allem, was die Disziplin der Teilnehmer betraf, die in der Mühle von Jan Rys manchmal auch etwas aus dem Ruder gelaufen ist. In den ersten Jahren in Unterrabnitz kamen etwa zwanzig bis dreißig Autoren bzw. Regisseure. Ursprünglich hatte Rys zu diesen Treffen ja nur Autoren eingeladen, dann kamen Hörspielproduzenten in den verschiedenen Rundfunkanstalten wie meist freiberufliche Regisseure dazu, was die jährlichen Treffen auch zu einer Art Börse für die Rundfunkanstalten machte, wo sie interessante Manuskripte für dieses besondere Genre der Radioliteratur bzw. Radiokunst quasi noch druckfrisch erwerben konnten. Nicht selten wurden dort auch schon Koproduktionen zwischen den produzierenden Anstalten angebahnt.

Da Unterrabnitz kaum über entsprechende Unterkunftsmöglichkeiten verfügte, mussten die meisten Teilnehmer verstreut in Wirtshäusern und Pensionen zwischen Lockenhaus und Kirchschlag in der Buckligen Welt untergebracht werden. Was aber kein Hindernis für alkoholschwangere Feiern und polemische Auseinandersetzungen so mancher Tagungsteilnehmer bis in die frühen Morgenstunden hinein war. Irgendwo fand sich dafür immer ein Platz.

Die Mittagsessen wurden meist im Gasthof Melchert in der einige Kilometer von Unterrabnitz entfernten Gemeinde Pilgersdorf eingenommen. Es kam nicht selten vor, dass manche der Teilnehmer auch nach dem Essen im Wirtshaus verblieben oder in der idyllischen Gegend herumspazierten und das nachmittägliche Programm Programm sein ließen.

Zu den Autoren, die Rys, der auch jüdische Wurzeln hatte, von Karlstein nach Unterrabnitz mitgenommen hatte, gehörten u.a. der in Bremen lebende Ingo Golembiewski, der aus der sowjetischen Ukraine stammende Eaghor Kostetzky wie auch der aus Polen nach Israel emigrierte Michal Tonecki, der seinerseits den jungen israelischen Autor Richard Faber an die Rabnitz mitbrachte. Tonecki zählte damals zu den europaweit bekannten Dramatikern des sogenannten „Absurden Theaters“. Viele der Teilnehmer wie auch der als Ostarbeiter nach Deutschland gebrachte Kostetzky kamen aus der Bundesrepublik. Ich erinnere da spontan Autoren, die auch schon beachtete Romane veröffentlicht hatten, wie Hans Jürgen Fröhlich, Gerd-Peter Eigner, Ruth Rehmann, Friederike Roth oder Ginka Steinwachs Eine beachtliche Schar kam jedes Jahr auch aus der DDR ins mittlere Burgenland. Darunter Hansjörg Dost, ein evangelischer Pfarrer aus Erfurt, der dann am Ende der DDR, aber noch vor deren Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland, kurz eine politische Rolle am sogenannten Runden Tisch gespielt hat. In Unterrabnitz verblüffte er seine Autorenkollegen mit fein gesponnener Ironie. Ein von der Stasi verfolgter DDR- Kritiker, der zu den besonders interessanten Autoren und Diskutanten in der Rys`schen Hörspielmühle gehörte, war Joachim Walther, dessen Roman „ Bewerbung bei Hof“ die Kritik am repressiven System der DDR in ein historisches Kleid hüllen musste, um in seiner Heimat gedruckt zu werden.

Aber auch systemkonforme DDRler wurden von der Hörspielabteilung des mächtigen Rundfunks der DDR nach Unterrabnitz delegiert, um dann zuhause der Stasi Bericht zu erstatten, wer was dort gesagt und wie argumentiert hatte, weniger bei den rein ästhetischen als bei den durchaus auch oft heftig geführten politischen Debatten. Keine Frage für mich, dass über eine Reihe von Teilnehmern an den Unterrabnitzer Hörspieltagen Konfidentenberichte erstellt wurden, von denen sich einige auch in den Unterlagen der Gauck- Behörde erhalten haben.

Hörspiel-Jugoslawien war Jahre hindurch durch die Kroaten Mira Buljan und Miodrag Krencer und den Slowenen Zarko Petan vertreten. Der Satiriker und Aphoristiker Petan war nach dem Zerfall Jugoslawiens eine Zeitlang sogar Generaldirektor der staatlichen Radio- und Fernsehanstalt in Slowenien, kam einmal als solcher nach Rust mit seinem neuesten Hörspiel -in einem ansehnlichen Dienstauto und mit einer noch ansehnlicheren jungen Dame als seine Chauffeuse. Der damals schon in Prag und Wien lebende Tscheche Pavel Kohout las ebenfalls einmal bei den Unterrabnitzer Hörspieltagen aus einem Manuskript.

Österreichische bzw. in Österreich lebende Autoren der Jahre in Unterrabnitz waren u.a. der griechischstämmige Anestis Logothetis, Gert Jonke (trat dort mit Hund auf), Ingeborg Teuffenbach (die Mutter von Fritjof Capra), Elfriede Czurda, Marianne Gruber, Marlene Streeruwitz, Josef Schweikhardt, Helmut Peschina, Vintila Ivanceanu, Franz Hiesel, Hermann Gail, Manfred Chobot, Eberhard Petschinka, Irene Kabanyi, Deszö Monoszloy, der noch blutjunge Oberwarter Peter Wagner, die Oberpullendorferin Jutta Treiber und noch viele andere mehr.

In den Jahren in Rust stellten auch die deutschen AutorInnen Hans Häusler und Barbara Strohschein sowie die ÖsterreicherInnen Barbara Frischmuth, Margit Schreiner, Andreas Okopenko, Peter Henisch und der in Wien lebende Villacher Werner Kofler Hörspielarbeiten zur kollegialen Beurteilung vor. Mit der Produktion seines Hörspiels „Guggile“ gewann Kofler den vom Sender Freies Berlin (SFB) ausgeschriebenen internationalen PRIX FUTUR, den übrigens 1981 auch die von mir im ORF verantwortete Produktion des Hörspiels „Sprechquartett“ des Autors Alexander Wiedner auf Entscheid einer internationalen Jury erringen konnte, einer Jury, der u.a. ein Engländer, ein Ungar, ein Franzose, ein Jugoslawe und eine Australierin angehörten. Dieses Hörspiel begeisterte vor allem durch den raffinierten, damals innovativen Einsatz elektroakustischen Klangmaterials, hergestellt vom Komponisten Dieter Kaufmann.

Wie war die ökonomische Basis dieser Internationalen Hörspieltage beschaffen?

Günter Unger: Die Finanzierung der Tagungen war stets mühevoll und wurde in erster Linie durch eher bescheidene Subventionen von Bund und Land Burgenland bewerkstelligt. Vor allem die deutschen Teilnehmer konnten es nicht fassen, dass man mit so wenig Geld und so wenig Personal, aber mit einer ungeheuren Lust an der Sache, so hochwertige Veranstaltungen auf die Beine stellen konnte. Mit dem verfügbaren Geld wurden Reisekosten und Quartiere der Teilnehmer bezahlt, in Unterrabnitz bei noch geringerer Frequenz auch die Mittagessen. In einigen Jahren gab es auch kleine Zuschüsse durch die im Vergleich zum ORF reichen großen ARD- Anstalten WDR, NDR, Saarländischer und Bayrischer Rundfunk.

Wurden bei den Hörspieltagen im Burgenland auch Preise an Ort und Stelle verliehen ?

Günter Unger: Ja. Mit einer Dotation verbunden aber nur zwei Mal. Dann reichten die Budgets dafür nicht mehr aus. Ansonsten gab es aber alle Jahre für Hörspiele wie auch für vorgelesene Hörspielmanuskripte, die den einhelligen Beifall der gerade anwesenden Autoren fanden, einen sogenannten Slabbesz. Den Namen dieses Preises, der in den frühen Jahren sehr sparsam, später dann relativ oft vergeben wurde, hat Robert Stauffer erfunden. Es war ein Ehrenpreis in der materiellen Form einer Metallspule, um die herum zu jener Zeit die großen Tonbänder gewickelt waren, und musste vom jeweils damit Ausgezeichneten 24 Stunden lang an einem rot-goldenen Band, also in den Landesfarben des Burgenlandes, sichtbar an der Brust baumelnd getragen werden. Manche der damit ausgezeichneten Autoren aber auch Regisseure führten diesen Preis sogar in ihren Biographien an.

Hatten diese Hörspieltage auch eine Resonanz in den Medien ?

Günter Unger: Durchaus ! Wenn man dazu auch anmerken muss, dass das Hörspiel im deutschsprachigen Raum in den 1970ern aufgrund des kometenhaften Aufstiegs des Fernsehen beim Publikum einen übermächtigen Konkurrenten bekommen hat. Stars der Literaturszene wie Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann oder Günter Eich (der Ehemann Ilse Aichingers), die alle in den ersten Jahren nach dem Krieg auch Hörspiele geschrieben hatten, konzentrierten ihr Interesse nun auf andere Medien. Die Honorare, die Radioanstalten damals den Autoren zahlten, waren aber noch immer sehr beachtlich, vergleicht man sie etwa mit jenen, die Lyriker oder Romanciers für ihre gedruckten Werke erhielten Auch wenn die Resonanz auf im öffentlich- rechtlichen Rundfunk gesendete Hörspiele in den Printmedien zurückging. Mediale Aufmerksamkeit fanden aber so gut wie immer die mit internationalen Preisen wie Kriegsblindenpreis, Prix Italia oder Prix Futura ausgezeichneten Arbeiten.

Unsere Hörspieltage selbst wurden in den Qualitätszeitungen Deutschlands wie auch Österreichs durchaus positiv besprochen. Der ORF selbst berichtete sowohl im Radio als auch im Fernsehen jedes Jahr über das Ereignis. Ich selbst habe 1981 für das Fernsehen des ORF einen Dokumentarfilm mit dem Titel „Die Hörspielmühle zu Unterrabnitz“ gestaltet.

Wieviele Hörspiele im Jahr sind damals im Schnitt bei Ihnen produziert worden?

G.U.: Es werden schon bis zu zwölf Produktionen in manchen Jahren gewesen sein. Als ich im ORF mit der Hörspielarbeit begonnen habe, gab es neben Ö 1 noch ein starkes Regionalprogramm, das ebenfalls bundesweit ausgestrahlt wurde. Darin waren wöchentlich zwei einstündige Hörspieltermine fix, der eine Sonntag um 16 Uhr, der andere Montag nach 20 Uhr. Der Philosophie der vom damaligen Generalintendanten Gerd Bacher installierten Strukturprogramme zufolge, war dem Regionalprogramm allerdings keine avantgardistische Rolle zugedacht. Hier sollten gute traditionelle Literatur und gehobene Unterhaltung ihren Platz finden. Für Experimente oder gewagte Stoffe gab es das viel anspruchsvollere Ö 1 mit wöchentlich bis zu vier Hörspielterminen. Ich konnte beide Möglichkeiten gut nutzen. Auf der Suche nach guten Autoren bin ich, was ja mit der geographischen Lage und historischen Situation des Burgenlandes zu tun hat, immer wieder auch in Ungarn, Kroatien, Slowenien und in einem Fall sogar in Bulgarien fündig geworden. Von den damals erstrangigen ungarischen Autoren inszenierten wir beispielsweise die in der ungarischen Version mit dem Prix Italia ausgezeichnete Farce „Die kleinste Liebe der Welt“. Von dem aus Budapest stammenden, damals schon seit Jahren in Israel lebenden Ephraim Kishon realisierten wir in einer Übersetzung Friedrich Torbergs die Fußball- Satire „Gott Pomeranz oder der Stein des Anstoßes“.

Neben Originalhörspielen produzierte unser Studio aber auch von uns radiophon umgesetzte große Bühnenstücke wie „In Agonie“ des „pannonischen Riesen“ Miroslav Krleza über den Zerfall der alten Agramer Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg, „Der Revisor“ von Nikolai Gogol oder „Die Nashörner“ von Eugen Ionesco. Für die „Nashörner“ haben wir sogar eine adäquate Hörspielmusik bei einem Komponisten in Köln in Auftrag gegeben und von ihm auch erhalten.

Welche Rolle spielte damals der ORF- Burgenland für die österreichische Literatur im Vergleich zu den anderen Bundesländerstudios ?

G.U.: Eine durchaus beachtliche ! Ich war ab 1970 der jüngste Hörspielmacher in den drei damals in der Wiener Argentinierstrasse angesiedelten Landesstudios (Wien, Niederösterreich, Burgenland), die Radioliteratur für Ö 1 planten und produzierten. An der Seite der Kollegen Fritz Habeck (Wien), Jurist, Wehrmachtsoffizier und nach wie vor erfolgreicher Romancier, und Ernst Wolfram Marboe (NÖ), ein eher militanter Katholik, der in jenen Jahren mehr parteipolitisch als programmbezogen unterwegs war und literarische Experimente ohnehin meist ablehnte. In diesem Biotop konnte ich eine Reihe der damals aufstrebenden jungen österreichischen AutorInnen an mich binden. Etwa Peter Turrini, dessen erstes Hörspiel „Die Kindsmörderin“ von mir auf Sendung gebracht wurde. oder Michael Scharang, Jutta (später dann Julian) Schutting, Peter Rosei, Brigitte Schwaiger und noch andere.

Wie alt waren Sie da selbst?

G.U.: 1970, als ich die Kultur-, Wissenschaft- und Literatur/Hörspiel-Abteilung übernommen habe, war ich 29 Jahre alt. Der Sitz des ORF- Landesstudios Burgenland war bis 1982, als das neue Funkhaus in Eisenstadt in Betrieb ging, in Wien. Das hat mir riesige Vorteile bei der Besetzung von Hörspielen wie auch sonstiger Literatursendungen, ebenso bei der Zusammenarbeit mit erstrangigen Regisseuren wie dem Wiener Götz Fritsch oder den Deutschen Hans Peter Schwarz (Ehemann der Luise Martini) und Gerd Krogmann gebracht. Schauspieler des Burgtheaters, des Volkstheaters, des Theaters in der Josefstadt wie auch kleinerer Wiener Bühnen haben sehr gerne (wie sie oft sagten) „Funk“ gemacht, weil das neben ihrer Theaterarbeit eine willkommene Abwechslung und Herausforderung und natürlich auch zusätzliches Geld gebracht hat.

Aufgrund meiner damaligen Position in der österreichischen Hörspielszene wurde ich 1975 als Lehrbeauftragter für die Kunstgattung Hörspiel ans Institut für Theaterwissenschaft der Universität Wien berufen und blieb das bis 1989.

Im Funkhaus Eisenstadt, das damals über ein eigenes, technisch einschlägig ausgerüstetes Hörspielstudio verfügte, habe ich als eines der ersten Hörspiele von Marlene Streeruwitz jenes mit dem Titel „Der Paravent“ in Zusammenarbeit mit einer deutschen Anstalt realisiert. Die Streeruwitz hatte für das Manuskript bei der Hörspieltagung in Unterrabnitz einen Slabbesz erhalten. Und Krogmann inszenierte es im Eisenstädter Funkhaus mit der damals recht arroganten und zickigen Wiener Salondame Susi Nicoletti in der weiblichen Hauptrolle. Wir haben in den nächsten zehn Jahren auch noch viele andere Hörspiele in Eisenstadt gemacht. Aber dann trocknete allmählich der Nährboden für diese Kunstgattung im Burgenland aus, was auf Umstrukturierungen in den Radioprogrammen des ORF mit viel weniger Literatur- und Hörspielterminen als davor, aber auch mit studiotechnischen Veränderungen und damit einhergehend mit einer zunehmenden Zentralisierung der Produktionen im Wiener Funkhaus zu tun hatte.

Wie war der Wechsel ins Burgenland für Sie persönlich?

G.U.: Ich hab den sehr begrüßt, weil für mich als gestandenen Burgenländer wichtig war, dass dieses Bundesland nicht ewig ein Appendix von Wien bleibt. Obwohl ich natürlich in meiner zwölfjährigen ORF- Arbeit in Wien die tollen Möglichkeiten der Großstadt genossen habe. Da ich schon seit 1975 bimedial gearbeitet habe, also neben Rundfunk auch Fernsehen gemacht habe, ist mir in Eisenstadt durch den Rückgang der großen Literatur- und auch Wissenschaftssendungen mehr Zeit für die Gestaltung von Fernsehdokumentationen in erster Linie über historische und kunstaffine Themen geblieben. Insgesamt entstanden im Lauf der Jahre mehr als 70 solcher Filme, die ich als Autor und Regisseur geformt habe.

Im Burgenland war zu dieser Zeit György Sebestyén ein wichtiger Kulturanimator, wie war Ihr Verhältnis zu ihm?

G.U.: Ich war mit ihm befreundet, habe die Literaturzeitschrift „wortmühle“ auf seine Anregung hin von 1978 bis 1996 in der Edition Roetzer herausgegeben. Er selbst hat beim Roetzer ja die Zeitschrift PANNONIA redigiert und gestaltet. Pannonien bzw. pannonisch waren im Burgenland damals Begriffe, mit denen nur ein paar Historiker etwas anzufangen wussten. Als Rückbesinnung auf ein politisches Herrschaftsgebilde, das auf die römische Provinz dieses Namens zurückgeht, später aber auch dem ungarischen Nationalismus als Krücke für seine Identität diente. Sebestyen war ja gebürtiger Budapester und ursprünglich Kommunist, der 1956 nach Österreich gekommen ist und hier im Burgenland, das bis 1921 zu Ungarn gehörte, ein kulturelles Organ für ein damals bei manchen Intellektuellen und Politikern in Mode gekommenes „Mitteleuropa“ schaffen wollte. Sebestyen hatte nämlich zeitlebens Angst, dass das Sowjetische Imperium, zu dem Ungarn bis 1989 gehörte, auch das Burgenland unter seine Kontrolle bringen könnte, und so hat er mit der PANNONIA intensive kulturelle Beziehungen zu Moskau hergestellt, um sich im Falle eines solchen worst case vor einer persönlichen Verfolgung durch die Moskowiter abzusichern. So absurd das heute klingen mag, in den 1970er- und frühen 1980er-Jahre gab es solche Bedenken. Und Sebestyen hat 1984 der Edition Roetzer ja auch den Druckauftrag für die deutsche Fassung von Reden und Aufsätzen Konstantin Tschernenkos, des Generalsekretärs der KPdSU (der Kommunistischen Partei der Sowjetunion) vor Gorbatschow, vermittelt. Zu jener Zeit hat Sebestyen mich auch einmal gebeten, den von ihm ins Burgenland eingeladenen, in der kirgisischen Sowjetrepublik lebenden Weltautor Tschingis Aitmatow durch das damals noch funkelnagelneue ORF-Funkhaus in Eisenstadt zu führen und mit ihm ein Interview aufzunehmen.

Noch einmal : Niemand hat vor 1970 im Burgenland das Wort „pannonisch“ in den Mund genommen, heute wird es unreflektiert in allen möglichen Bereichen, vor allem im Tourismus, verwendet und niemand weiß mehr, dass und warum es Sebestyén seinerzeit erfunden hat.

Und wie war dann das Ende der Hörspieltage im Burgenland?

G.U.: Nachdem ich Ende 2001 beim ORF in Pension gegangen bin, habe ich 2002 noch einmal mehr oder weniger privat mit Robert Stauffer und Lore Mädl die Hörspieltage in Rust veranstaltet, im Jahr danach aber dann dieses langjährige Erfolgsprojekt nicht mehr fortgesetzt. Ohne vollen Rückhalt im ORF war für mich dieses Unterfangen einfach zu mühevoll geworden. Und Ich hatte auch schon andere Projekte im Visier, die mir wichtiger waren. Eine Fortsetzung, allerdings in einer etwas anderen Form und unter einer anderen Leitung, haben die Hörspieltage dann im niederösterreichischen Neulangbach gefunden.

Das Gespräch mit Günter Unger wurde von ihm selbst ergänzt und redigiert.

Ausschnittsweise Dokumentationen der Internationalen Hörspieltage in:

Günter Unger: Die Hörspielmühle zu Unterrabnitz, 30 min TV-Film, 1981
Günter Unger: Zeitreise in einem ungewöhnlichen Land, Wien: Edition Tusch 1994
Hedwig Döllinger: Der Hörspielautor Jan Rys. Eine biographische Annäherung. Diplomarbeit Wien 2008