Portrait der Steinbildhauerin Anna Kubach-Wilmsen

„Das Meer ist blau, in Wirklichkeit spiegelt es nur das Blau des Himmels. Der Himmel ist blau, in der Realität spiegelt er nur das Blau der Erdentiefe und des Universums. Blauer Granit ist wirklich blau.“ Kubach-Wilmsen

 

Bad Münster am Stein

Mein Besuch am 1. Dezember 2017 galt der Steinbildhauerin Anna Kubach-Wilmsen in ihrem Domizil in Bad Münster am Stein, einem traditionellen Kurort in Rheinland-Pfalz. Die kleine Stadt liegt am Fuße der Ebernburg im deutsch-französischen Grenzland, umrahmt von Wäldern und Weinbergen, sowie von den Felsmassiven des Rheingrafenstein und des Rotenfels an der Nahe. Seit 1965 lebt und arbeitet Anna Kubach-Wilmsen hier – bis zum Tod ihres Mannes Wolfgang Kubach 2007 zusammen mit ihm. 1998 begannen sie mit der Planung eines Steinskulpturenmuseums mit Park, das schließlich 2010 eröffnet wurde: die Fondation Kubach-Wilmsen http://www.fondation-kubach-wilmsen.de

Die Beschäftigung mit den Bildhauerinnen, die in den 1960er und -70er Jahren in St. Margarethen im Burgenland an den Internationalen Bildhauersymposien teilgenommen hatten, verlockte mich zu einem Besuch der immer noch überaus aktiven Künstlerin. Es war mir ein Anliegen, über meine Arbeit an einem literarischen Text – einer Collage aus Fiktion und Dokumentation – hinauszugehen und mehr über die Realität zu erfahren.

Ab 1972 verbrachte Anna Kubach-Wilmsen zusammen mit ihrem Mann und künstlerischen Partner Wolfgang Kubach einige Sommer im Bildhauerhaus in St. Margarethen. Gemeinsam mit rund fünfzehn anderen Bildhauer_innen arbeiteten sie auf Einladung und nach einer Idee von Karl Prantl am „Stephansplatz-Projekt“ mit. Hierbei ging es um die Neugestaltung des Platzes rund um den berühmten Wiener Dom mittels Steinplatten aufgelassener Gräber aus dem Altsteinlager der Stadt Wien. Das internationale Künstlerkollektiv bestand unter anderen aus Hiromi Akiyama, Maria Biljan-Bilger, Makoto Fujiwara, Hannes Haslecker, Leo Kornbrust, Milena Lah, Wolfgang Laib, Janez Lenassi, Gero Müller-Goldegg, Franz Xaver Ölzant, Paul Schneider und Ebina Shigeharu (siehe auch http://www.bildhauerhaus.at/geschichte/kuenstlerinnen.html). Dieses Projekt hatte Potential für die Ewigkeit und scheiterte doch vorzeitig. Nichts desto trotz war die Zusammenarbeit mit Karl Prantl, die sich über Jahre fortsetzte, für Kubach-Wilmsen ein wichtiger Teil ihrer eigenen künstlerischen Entwicklung, da sie ein tiefgehender, meditativer Zugang zur Materie Stein einte.

Klagemauer

Klagemauer 1978-84

Bei meinem Besuch Anfang Dezember ist es klirrend kalt, erster Schnee kündigt sich an und ein scharfer Wind weht über den Skulpturenpark. Dennoch lässt es sich Frau Kubach-Wilmsen nicht nehmen, mich aufs Wärmste zu empfangen und mir einige der Skulpturen im Park zu zeigen und mich persönlich durch das Museum zu führen. Das Skulpturenmuseum, das der japanische Architekt Tadao Ando mit großem Sinn für Ästhetik vor die im Gegenüber aufragende Wand des Rotenfels setzte, beherbergt einen Großteil des Lebenswerks der Bildhauerpaars Kubach-Wilmsen. Hierfür wurde ein regionaltypisches Fachwerkhaus in seiner Struktur erhalten, die ursprünglich gemauerten Flächen wurden verglast, wodurch viel Licht auf die Kunstwerke fällt und eine große Luftigkeit entsteht. Vor dem Gebäude liegen zwischen Wasser und Kies steinerne Gebilde, umfriedet von einer durchbrochenen Mauer aus schmucklosem Beton, die Leichtigkeit suggeriert und den Blick der Besucher auf die vielen Skulpturen konzentriert. Ein Leben lang arbeitete das Paar in enger Gemeinsamkeit an diesen Werken.

Wolfgang Kubach begann als Maler an der Akademie der Bildenden Künste in München, wo er Anna Wilmsen kennenlernte, die dort 1959 ihr Studium der Bildhauerei aufnahm. Sie heirateten 1962, bekamen vier Kinder und ließen nicht davon ab, sich forthin der Steinbildhauerei zu widmen. Bei einem ersten Auftrag, den Anna Wilmsen – als Meisterschülerin von Josef Henselmann – für die Gestaltung eines Altars bekam, fanden die beiden als Team zueinander. „Wir waren ja zwei smarte Studenten mit so feinen, langen Fingern und dachten, wir wären schon Künstler …“ erzählt Anna Kubach-Wilmsen lachend bei der Erinnerung an ihre Anfänge. Die schwere Arbeit am Stein, die Verhandlung mit Steinbruchbesitzern, den Umgang mit großen Geldsummen für wertvolle Steine – all das musste erst einmal erfahren und gelernt werden, auch wenn man sich schon an vielen Entwürfen und anderen Materialien während des Studiums erprobt hatte. Auch die Hilfsbereitschaft von kräftigen und praktischer veranlagten Steinbrucharbeitern, die die jungen Studenten mitleidig beobachtet hatten, lernten die beiden zu schätzen. Im Austausch gegen einige Kisten Bier halfen diese tatkräftig mit, wenn es darum ging, erst einmal die Grundform frei zu schlagen. Mit der Anschaffung von teurem Werkzeug, der Organisation von Winden, Kränen und Lastwägen für die Steintransporte fanden die beiden „68er“ erst nach und nach Eingang in die Welt der Steinbildhauerei. „Wir dachten ja wie alle Studenten damals, dass alle Großunternehmer bloß Halsabschneider wären! Aber von wegen: Das waren die Steinbruchbesitzer, die uns überhaupt auf den Weg gebracht haben!“ Der Stein wurde bald zur Leidenschaft: „Es war nie Material für uns, sondern Materie.“ In Bayern, in der wunderbaren Landschaft mit Blick auf die Alpen ging es nicht nur darum, eine im Geiste erdachte Form aus dem Steinblock zu hauen. Die jungen Leute fühlten und tasteten nach dem, was der Stein nur langsam freigab und offenbarte: seine ganz individuelle Geschichte und somit auch die Geschichte der Erde schlechthin.

Steinkokons

Steinkokons 2011/12

Später sollte das Paar um die halbe Welt – immer auf der Suche nach dem richtigen Stein – reisen, brachte Steine aus einem im Urwald versteckten Steinbruch in Brasilien mit oder kaufte diese auf Steinmessen: „Der millionenfache Schleifgang, Stein um Stein, hinterließ in der Ebene Brasiliens überdimensionale trockene Flusstäler mit geschliffenen Steinen. An der Oberfläche lagern die Findlinge frei, in der Tiefe sind sie eingebunden in ein neues Sediment, härter als Granit. Schon Darwin hat in seinen Reisenotizen die ungewöhnlichen Steinvorkommen im Inneren des Landes beschrieben. Er bezeichnete diese als Steinflüsse in der Landschaft. Noch ahnte er nicht, was in der Tiefe der Steinflüsse entstanden war, ein Konglomerat aus ganz Süd-Amerika.“ (Zitat aus dem Katalog „Steinkokon“ von A K-W) Heute liegen Steine aus aller Welt behauen und geschliffen auf der heimatlichen Pfälzer Erde, als Kokons, in denen unser aller Urzeit eingeschlossen ist, als Steinbücher, in denen die Erdgeschichte zu lesen ist, und als Tore und Brücken zu anderen Erdteilen.

In den nachfolgend zitierten Gesprächsauszügen erzählt Anna Kubach-Wilmsen auf meine Bitte von ihren Anfängen, um etwas von der Stimmung der Zeit und ihrer Motivation für ihren Beruf nachzuspüren.

Anna Kubach-Wilmsen und Beatrice Simonsen

WIE FRAU BILDHAUERIN WIRD

Beatrice Simonsen: Wie waren denn Ihre Anfänge als Bildhauerin in den 1960er Jahren? Sie begannen ja Ihr Studium 1959 an der Akademie der Bildenden Künste in München … 

Anna Kubach-Wilmsen: Wir waren ungefähr 54 Studenten und fünf davon waren Frauen. Es gab da einmal so eine Diskussion unter den Studenten, warum der Professor – es war Josef Henselmann – denn diese Frauen in die Klasse aufgenommen hätte. Da sagte er: „Na damit ihr was zu heiraten habt!“ (Sie lacht.) Das war die Situation der Frau damals in München. Und später hat er mich zu seiner Meisterschülerin gemacht.

Und Sie haben wirklich einen der Kollegen geheiratet!

Ja, aber der war kein Bildhauer, er war Maler. (Sie lacht.) Er war gar nicht in unserer Klasse, aber er kam immer zu uns. Schließlich hat der Professor so ein bisschen geguckt und gefragt, was er denn hier täte? Er sagte: „Arbeiten!“ Und der Professor darauf: „Gut, dann machen Sie mal so weiter.“ Also er hat nie gesagt: „Sie gehören nicht hierher.“ Der hat das positiv gesehen, dass wir beide miteinander arbeiteten.
Ich bekam dann mein eigenes Meisterschüleratelier – ich hab wirklich viel gearbeitet, das musste ich zuhause am Bauernhof (Anm: Anna Kubach-Wilmsen stammt aus dem Kreis Kleve am unteren Niederrhein) ja auch – und das hat den Professor gefreut. Ich weiß noch, es war an einem Samstag um acht Uhr morgens, als er kam und von seinen Studenten vielleicht nur drei oder fünf anwesend waren. Da hat er uns angeschrien: „Ja wollt ihr denn Beamte werden?“ – so ungefähr – „Ein Bildhauer, der muss Tag und Nacht arbeiten! Aber das hier ist ein Bankrott! Aus euch wird nie was. Bildhauer, Künstler sein bedeutet 99 % Fleiß und 1 % Begabung.“ Dann lief er davon und wir standen da: 99 % Fleiß und 1 % Begabung! (Sie lacht.) Wir waren erschüttert! Aber es war komisch, wir konnten das den anderen dann gar nicht so richtig sagen. Als die Klasse wieder halbwegs gefüllt war, erzählten wir es wohl, aber die dachten natürlich: „Was wollen die denn, wovon reden die überhaupt? Samstag, Sonntag fährt man doch in die Berge …“

Und wie sehen Sie das heute? Hat er recht gehabt?

Also ich muss sagen, ohne Fleiß im Steinbildhauerberuf fallen Sie durch’s Sieb. Das geht nicht. Der Beruf ist so arbeitsintensiv, dass sogar das PR darunter leidet. Das war bei Karl Prantl doch anders, weil er immer seine Frau Uta hatte, die ihm den Rücken frei hielt. Aber wir zwei, Wolfgang und ich, wir haben geschuftet wie am Ende der Welt. Die Pfälzer waren ohnehin immer das ärmste Volk in Deutschland. Wir mussten uns immer zu den Ostländern zählen. Als ich in den 1960ern hierher kam, da haben die Leute ihren Wein alle selbst getrunken. Wein in der Flasche, das gab’s ja nicht! Erst Elmar Pieroth (Anm.: 1934 in Bad Kreuznach geboren, entwickelte ein Direktvertriebssystem im elterlichen Weinbaubetrieb, das er auf ganz Deutschland ausweitete) hat den Wein hier stark gemacht. Sein Bruder hat dann die „Naheweinstraße“ begründet und alle Bauern haben ihren Wein in Flaschen abgefüllt – und plötzlich hat man den Wein aus unserer Region auch in München getrunken. Heute ist das zwar nur eine kleine Anbaufläche, aber es gibt doch Leute, die den Nahewein schätzen, weil er viele Mineralien vom Stein enthält.

Hat das Material Stein Sie schon immer interessiert? Ich war bei meiner Recherche über Steinbildhauerinnen so beeindruckt, dass es Frauen gab, die es so kurz nach dem Krieg wagten, Kunst und Bildhauerei zu studieren – die männliche Domäne schlechthin …

Also die Vorgeschichte ist, dass ich sieben Brüder habe und auf einem Bauernhof aufgewachsen bin – von meinen Brüdern sind fünf Bauern geworden, einer Priester und einer Arzt – das war eine totale Männerwirtschaft. Wir mussten zum Beispiel jeden Sonntag mit unserem Vater über alle Felder laufen und dabei wurde diskutiert, was mit den Feldern geschehen soll. An einem Sonntag, da geht mein Vater so ein Stück in den Acker rein, nimmt einen Stein raus – es war im Frühjahr und das Korn war niedrig und da guckte der so raus – und legte diesen Stein in die Karrenspur. Die Karren hatten damals diese großen Holzräder mit Metallreifen drumherum, die machten tiefe Rillen in die Erde. Und wie er den so reinlegte, dachte ich: „Wenn da nur ein Karren drübergeht, dann ist der ganze schöne Stein kaputt.“ Aber ich sagte nichts, ich hab geschwiegen. Plötzlich sagte einer von meinen Brüdern: „Vater, warum hast du den Stein aus dem Acker genommen?“ Und da sagte er: „Wo der Stein liegt, wächst kein Korn. Aber hier im Weg gibt er unserem Wagen Halt.“ Und ich dachte: „Also sowas!“ – wir waren relativ reich und hatten einen großen Hof – „Wie kann man so viel Land und Erde haben und es darf nicht ein Stein im Acker liegen!“ Und ich weiß, dass ich da Partei für den Stein ergriffen habe. Sonst nie, nur das eine Mal als ich diese „Barocktafel“ bekam. (Anm.: an anderer Stelle erzählte Frau Kubach-Wilmsen sehr rührend von ihrer Schulschiefertafel, die sie mitten im Krieg im Übermut zerbrochen hat. Ihre Mutter musste daraufhin beim Dachdecker einen Ersatz suchen – eine dicke Dachschieferplatte.)

Was hat denn Ihre Familie dazu gesagt, dass Sie Künstlerin werden wollten?

Meine Eltern starben relativ schnell nach meinem Abitur. Mein Vater hinterließ nach einem Herzversagen den Hof und meine Mutter sagte: „Du kannst jetzt nicht weiter studieren, du musst die Aussteuer für die Söhne vorbereiten, weil ich werde sterben.“ Meine Eltern liebten sich sehr und sagten immer: „Wenn einer von uns stirbt, dann holt er den anderen nach.“ Ich hatte bisher in Münster in Westfalen Kunstgeschichte studiert, damit musste ich aufhören und mit meiner Mutter zusammen die Aussteuer der sieben Söhne machen. Das waren ganze Schränke voll mit Bettlaken und Handtüchern und was es alles so gab. Das musste alles bestickt werden. Und kochen musste ich auch lernen! Mein Gott. Ich war ja neun Jahre im Internat gewesen. Damit ich unter Mädchen kam, haben mich meine Eltern in ein Mädchenpensionat geschickt. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens! (Sie lacht.) Da landete ich zwischen lauter kichernden Mädchen. Und wenn sie im Turnunterricht weit springen mussten, dann liefen sie an, blieben aber plötzlich wieder stehen … also sowas! (Sie lacht.) Ich konnte das alles überhaupt nicht verstehen. Aber nach neun Jahren war ich doch auch ein Mädchen geworden.

Und die Brüder waren mit dem Kunststudium einverstanden?

Die fragten immer: „Wann machst du denn endlich dein Examen?“ Ich hatte ihnen gar nicht gesagt, dass ich freie Bildhauerei studiere, ich sollte ja Kunsterzieherin werden. Aber irgendwann sagte ich es doch – ach du Schreck! Und dann kam noch die Hochzeit mit auch so einem Künstler! (Sie lacht.) Es war eine große Hochzeit auf unserem niederrheinischen Hof und die Brüder sagten beim Verabschieden: „Das sagen wir euch: Ein Butterbrot kriegt ihr noch, wenn ihr zu uns kommt, aber mehr könnt ihr nicht erwarten!“ (Sie lacht). Ja, der Niederrhein.

Wie war das später: Sie haben an vielen Bildhauersymposien teilgenommen und haben auch welche veranstaltet, zum Beispiel in Rom. Was bedeutete das für Sie?

Von 1970 bis 1985 waren wir jährlich bei Symposien. Das war sehr wichtig, weil der Kollege – der andere Bildhauer – der hat einen ziemlich sauberen Blick. Der Kunstkritiker, der sieht ein Werk von einer anderen Warte. Er hat natürlich auch seinen Einfluss, aber der Bildhauerkollege merkt sofort, wenn etwas schiefgeht. Und das war in unserer Situation, die wir hier in Bad Münster hatten, wichtig. Der einzige Kritiker, den wir hier hatten, war das Licht. Wenn wir da vorne auf dem Platz vor dem Haus unsere Steine behauen haben, waren wir abends oft selig und dachten: „Oh, jetzt haben wir’s aber bald geschafft.“ Kommen wir morgens hin, steht die Sonne auf der anderen Seite, sagten wir: „Was haben wir da für ein hässliches Entlein geboren!“ Und es fing alles wieder von Neuem an, wenn einfach die Form verzogen war oder was auch immer. Das Licht war das Einzige, was wir hatten, das uns zeigte, ob es richtig war.

Einladung 80. Geburtstag Anna Frontseite

Weiterführende Lektüre:

Anna Kubach-Wilmsen: Steinkokon, Katalog des Steinskulpturenmuseums Bad Münster am Stein-Ebernburg, 2017

Claire Labye: Kubach-Wilmsen unterwegs zum Stein, Verlag Matthias Ess, Bad Kreuznach, 2014

Bernd Pastuschka, Hans Bergs (HG.): Tadao Ando – Steinskulpturenmuseum Fondation Kubach-Wilmsen, Dölling und Galitz Verlag, München-Hamburg, 2013