Lichtobjekte und Literatur St.Margarethen 28.August 2021

Gemeinschaftsausstellung von MANUTOBER und BRIGITTE WEILER mit Lesungen von LUITGARD EISENMEIER und PETER PESSL  in St. Margarethen im Burgenland am

Samstag 28. August 2021
Atelier Brigitte Weiler, 7062 St. Margarethen-Berg, Weinberggasse 1A

WAS DURCH LICHT ENTSTEHT: Brigitte Weiler thematisiert „Licht“ im eigentlichen Wortsinn. Zu sehen sind von innen beleuchtete Metall-Papierobjekte. In ihren Siebdruckarbeiten macht sie sich Gedanken über das Wesen des Lichts.

LICHT DER MENSCHHEIT manutober zeigt erstmals ihren aus 13 illuminierten Bildern bestehenden Zyklus LICHT DER MENSCHHEIT, in dem das Licht einen zynischen Unterton annimmt, indem es sich eher den Schattenseiten der Menschheit widmet und die Frage nach einer „besseren Zukunft“ aufwirft. 

 

Moderation zu den Lesungen von Luitgard Eisenmeier und Peter Pessl in der Ausstellung „Licht“ von manutober und Brigitte Weiler am 28. August 2021, © Beatrice Simonsen für Kunst und Literatur:

“Um Licht geht es in dieser Ausstellung, es geht aber auch um Dunkel. Zwar spricht man davon, dass wo Licht ist, auch Schatten sei – hier ist es im umgekehrten Sinn gemeint: wir wollen Licht ins Dunkel bringen. Die Objekte der Künstlerinnen benötigen die Dunkelheit des Ausstellungsraums, durch sie kommen sie erst zur Geltung. Die Texte der Autor_innen befassen sich mit dem Dunklen der Geschichte und in uns. Im Dunklen liegen die Erinnerungen verborgen, im Dunklen wachsen die Träume. Poesie fällt wie Licht in Schattenräume.

Manu Tober nimmt in ihrem Kunstprojekt einen deutschen „Hausatlas“ aus dem Jahr 1938 zum Anlass der Auseinandersetzung mit unserer Geschichte und Zeitgeschichte. In einem Zyklus von 13 illuminierten Bildern werden ausgewählte Seiten des Atlas mit eigenen Zeichnungen, Übermalungen, Collagen und Fundstücken ergänzt und montiert. In der Illumination rückt das faschistische Weltbild in den Hintergrund. Es ist da, es ist unsere Geschichte, aber die Künstlerin widerspricht, widerlegt, will dem Neues, Besseres hinzufügen. Licht ins Dunkel bringen. Letzteres ist auch das Ansinnen von Brigitte Weiler, die mit den von innen beleuchteten Metall-Papier-Objekten über das Wesen des Lichts insgesamt nachdenkt.

Die beiden Autor_innen, die ich auf Einladung von Brigitte Weiler und Manu Tober für diese Ausstellung kuratiert habe, ergänzen diese Beschäftigung mit “Licht” insofern, dass sie ebenso wie die Künstlerinnen, dem “Dunklen” Raum geben, bevor sie es verwandeln. Das „Sichtbarmachen der Geschichte“ ist unter anderem Aufgabe der Kunst. Dem Dunklen (sei es der Geschichte, sei es des eigenen Inneren, der äußeren Bedingungen, der dunklen Mächte, eines dunklen Raumes – was immer man damit assoziieren mag) in geheime Kammern zu folgen, diese auszuforschen, preiszugeben, was dort aufgestöbert wurde, dazu gehört Mut und Geduld – und Kreativität, wenn es nicht nur um historische Wahrheit, sondern um künstlerische Verwandlung geht.

Licht und Dunkel sind die Pole, zwischen denen sich die Texte und Arbeiten der beiden Künstler_innen bewegen – ich sage jetzt absichtlich nicht „Autor_innen“, da beide interdisziplinär arbeiten. Luitgard Eisenmeier und Peter Pessl wuchsen in der Bundesrepublik Deutschland auf. Beide setzten und setzen sich einerseits mit der eigenen Geschichte und andererseits intensiv mit fernen und fremden Ländern und Kulturen auseinander und leben heute in Österreich, in Wien und im Burgenland. Reisen nach Ägypten – bei LE – oder Tibet – bei PP – führten zur Verinnerlichung anderer Weltbilder als der bisher gelernten und eingeübten. Diese intensive Auseinandersetzung schlägt sich grenzüberschreitend in verschiedenen Mitteln der Kunst nieder, die ineinander greifen: in Texten, Hörbildern, Zeichnungen, Collagen, Unikatbüchern.

„Träume von Wesen und Welt“ stehen im Mittelpunkt der ersten Lesung von Peter Pessl. Er wurde in Frankfurt/Main geboren, wuchs in der Bundesrepublik und in Österreich auf, lebt in Wien und Markt Allhau im Südburgenland. Er ist seit 1984 freier Schriftsteller, und seit 1991 auch Radiokünstler und Zeichner. Viele seiner rund 20 literarischen Veröffentlichungen werden von seinen Zeichnungen ergänzt, so wie sein zuletzt 2020 erschienenes Werk: „Der Schwertkönig und die Biene“, ein Technyphion – ein kleines Kunstwerk. Noch zahlreicher als seine Bücher sind seine Hörspiele und experimentellen Radioarbeiten, die großteils im ORF, aber auch in deutschen Rundfunkanstalten oder beim Steirischen Herbst zu hören waren, zuletzt: „Die Tür in den Wäldern“, im ORF Kunstradio 2021 – aus dem wir einen Ausschnitt hören. Der Autor ist Mitglied der GAV, der größten Schriftstellervereinigung Österreichs.

Peter Pessl verbindet in seiner konsequent schöpferischen Sprache das Poetische mit dem Politischen, lässt den Klang in die Sprache und das Zeichnen ins Schreiben einfließen. Seine Lesung „Träume von Wesen und Welt“ ist ein kurzer Ausschnitt aus seinem Buch “Formiert aus Luft”, dem 3. Teil seiner vierbändigen “Aufzeichnungen aus dem Himalaya”, die zwischen 2006 und 2013 erschienen sind und auf seine Umwanderung des Kailash zurückgehen, die der Autor 2002 unternahm. Für alle, die so wie ich noch nie im Himalaya-Gebiet unterwegs waren zur Erläuterung: Der Kailash – zu deutsch „kostbares Schneejuwel“ –  ist ein seine Umgebung deutlich überragender Berg im westlichen Teil des Transhimalaya in Tibet und gilt als heiliger Berg.

Der Traumabschnitt, um den es geht, führt in die Kindheit des Autors und seine lebenslange Beschäftigung mit dem nationalsozialistischen Trauma, das von der Vätergeneration bis heute auf uns weiterwirkt. Beides, die Umwanderung von Tibets heiligstem Berg und die Verstrickungen seiner Kindheit sind veritable Ausnahmezustände, „fremde Welten“. Die fremde Welt des Kailash ist überwältigend in seiner Fülle nie gesehener Landschaften. Alles schreibend taucht der Wanderer in Begleitung des „Wesensbegleiters“ Pasolini und des „Wiesenmädchens“ bzw der „Luftgängerin“ Dagmema in die Welt des tibetischen Buddhismus ein, er begegnet seinen Gottheiten, Mythen und Helden, dringt in das „wüste Innere des asiatischen Riesenkontinents“ ein, um in dessen maßlosen Weiten zu verschwinden. In diesem hochpoetischen Erzählen und der sprachlichen Anverwandlung der fremden Welt tauchen die Kindheitslandschaften des Autors auf, die Wiesen- und Flusslandschaften seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main. In sie sind die Erinnerungen an den Vater eingebettet, der uns gleichermaßen als Opfer und Täter des 2. Weltkriegs erscheint, ein „Weltarchitekt“, dessen eigene Interpretationen der Geschichte sich tief ins Gedächtnis des Heranwachsenden einprägten.

Umrahmt wird dieser „Traum von Wesen und Welt“ in Bilder aus dem beispiellosen Naturtheater rund um den Kailash, der seit Jahrtausenden als Mittelpunkt der Welt gesehen wird. Im Anschluss an seine Lesung hören wir einen etwa 10 minütigen Ausschnitt aus seinem Hörstück „Die Tür in den Wäldern“, das mehr oder weniger ohne Text auskommt, nur über das Hören von Klängen, Sprachfetzen, Geräuschen tief in die Wildnis des Gedächtnisraums führt und andererseits als Zufluchtsort, als Tür in eine spirituelle Wirklichkeit dient – etwas worum es auch in den Himalaya-Büchern unablässig geht – wie Peter Pessl selbst sagt.

Nachdem wir Peter Pessl ins (Zitat) „Niemandsland hinter jener nachtblaugrünen Tür in den Wäldern“, „in den „nasskalten Hallraum der Geschichte“, gefolgt sind, dem sich zu stellen notwendig ist, sind wir „auf einer glasgrünen Lichtung“ – also: „im Licht“ – gelandet und wenden uns unserem nächsten Gast und ihren Plätzen und „Dingen mit Geschichte“ zu.

Luitgard Eisenmeier wurde in Weißenhorn/Neu-Ulm geboren, wuchs in Würzburg auf und lebt seit 1976 in Wien. Sie studierte an der Akademie der bildenden Künste und war Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Der blaue Kompressor“.  In den 1980ern arbeitete sie an einem Gesamtkunstwerk, dem Jardin de Wiltz, in Luxemburg, mit. Nach einem längeren Aufenthalt in Ägypten, einem Land, das sie auch später immer wieder bereiste, gründete sie mit ihrem Mann Abdel Halim Hassan das CAFÉ NIL im 7. Bezirk in Wien, das sie 32 Jahre lang gemeinsam betrieben.

Seit 1979 stellt Luitgard Eisenmeier mit eigenen und fremden Text- und Bildelementen Unikatbücher her, die bei internationalen Ausstellungen zum Beispiel in Ägypten, Kanada und 2019 in Berlin im „Museum der unerhörten Dinge“ gezeigt wurden. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Wien und Blumau an der Wild / Niederösterreich. Dort wandelte sie ein ehemaliges Warenhaus im Waldviertel in ein bewohnbares und bewohntes Kunstwerk um, das jetzige PALAIS WILD und veranstaltet seit 2014 mit anderen Künstler*innen Ausstellungen, Lesungen, Gartenevents und Performances.

Auch das Werk von Luitgard Eisenmeier ist ein komplexes und beschränkt sich nicht auf das rein Literarische oder Bildnerische. Bei ihren Unikatbüchern handelt es sich um einmalige originale Kunstobjekte. So arbeitete zum Beispiel am Buch „Melancholia“, aus dem sie heute liest, ein „Heimatbuch“ der anderen Art, für das sie als Grundlage ein Kassabuch aus den 1940er Jahren benutzte, mehrere Jahre lang von 2001 – 2009. Auf dem Büchertisch sehen sie weitere Beispiele, die sie später gern näher in Augenschein nehmen können: „Elemente einer Revolution“ ist ein Faltbuch aus dem Jahr 2012 mit Collagen aus Bild- und Schriftausschnitten aus ägyptischen, deutschen und österreichischen Zeitungen. LUDOVICA‘S BOOKentstand in Alexandria 2005 und das Unikatbuch “schneeweiß  …  pechschwarz”, eine Umwidmung, entstandauf Basis eines Englisch-Sprachkurses für Blinde aus den 1950er Jahren. Nicht immer sind diese originalen Bücher, von denen es mittlerweile 16 Stück gibt, “Lesebücher”. Manche von ihnen erschließen sich rein über Haptik und Betrachtung, wie das mittlerweile 16-bändige work in progress“Bildermenschen”.

Mit Luitgard Eisenmeier wenden wir uns vordergründig der realen Welt der Dinge zu, der „Dinge voll Erinnerung“, wobei sie meint: „fremder Dinge“, deren Geschichte sie mehr spürt, als dass sie davon weiß. Indem sie diese bearbeitet – wie im gegebenen Fall von „Melancholia“ ein Kassabuch aus den 1940ern – sie zuerst einmal überhaupt in ihrer Vergessenheit entdeckt, je nach Material fachmännisch(frauisch) instand setzt, praktisch aus dem Mantel der Überlagerungen schält, über sie nachdenkt und möglicherweise anders nutzt oder nur ins Rampenlicht stellt, führt sie diese einer neuen Zukunft zu, belegt sie diese mit neuen Erinnerungen. Es geht darum, Ordnungen zu schaffen zwischen den Dingen, Orten und Landschaften, den äußeren und den inneren. Wege frei zu machen für das neue Sehen und Denken, das über eine rein reale Welt hinausgeht. Das Große im Kleinen zu erkennen ergibt sich über „die Arbeit am Objekt“. Bevor Kunst entsteht, muss sie (Zitat) mit festem Griff und sportlich putzen und räumen, Raum und Platz finden (lassen).

In Vielem wird die enge Beziehung zu Ägypten spürbar, der Wechsel zwischen den Kontinenten Europa und Afrika, die genaue Beschäftigung mit der Geschichte der Länder und Orte, die sich als neue „Heimaten“ anbieten: Kairo oder Alexandria ebenso wie Wien und Blumau an der Wild im Waldviertel.

Landschaften, Stadtbilder, Brücken, Wasser, Flüsse und Fähren, ein Park werden im wahrsten Sinne des Wortes „in Betracht“ gezogen. Das „Wo“ spielt nicht unbedingt eine Rolle, eher geht es darum, das Alltägliche genau anzuschauen. Für das Unikatbuch „Melancholia“ griff sie auf alte S/W- Fotografien zurück, Fotografien, die sie in den 1970er Jahren machte und in einer provisorischen Dunkelkammer selbst entwickelte – Fotografieren war teuer: eine Tatsache, die angesichts der aktuellen Flut der Handyfotos unglaublich klingt. – Viele der damaligen Fotos waren objektiv gesehen „missraten“. „Aber gerade das Missratene an den Fotos ist Teil ihres Charmes und ihrer Melancholie. Deshalb wurden sie über viele Jahre aufgehoben, mit späteren Fotos aus den 2000er Jahren ergänzt und fanden endlich IHREN PLATZ im Buch Melancholia“ … so Luitgard Eisenmeier. Sie zitiert den britischen Schriftsteller, Maler und Kunstkritiker John Berger: „Der Reiz, der von einer Fotografie ausgeht, ist Erinnerung.“ Die Fotografie – was aus dem Griechischen übersetzt „Zeichnen mit Licht“ heißt, womit wir wieder an das eigentlich Thema anschließen – holt Erinnerungen aus dem Dunkel. In ihren Texten zu den Fotografien entwirft Luitgard Eisenmeier korrespondierende Momentaufnahmen, zeichnet das Bild mittels Sprache nach oder nimmt die Stimmung wieder auf, lässt sich auf die Erinnerung ein, kommt ins Erzählen … . Erinnerung verbindet sich gern mitdunkler Melancholie, weil die Rückschau die Flüchtigkeit der Zeit bewusst macht. Jedoch vernebelt die Melancholie nicht den Blick, im Gegenteil: Im Detailreichtum der reflektierten Bilder, die uns beschrieben werden, gewinnt die Welt (der Dinge) an Kontur.”

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Der ungewöhnliche Bau des Ateliers der bildenden Künstlerin Brigitte Weiler bildet Raum für das gemeinsame Projekt mit ihrer Kollegin Manu Tober zum Thema „Licht“. Die moderne Architektur des Hauses gründet auf einem 1936 für die Kaserne Oggau erbauten Wasserspeicher. Die umgebaute Schieberkammer nützt Brigitte Weiler als Druckwerkstatt für Radierung und Siebdruck und als Kursort im Bereich Papierschöpfen und Papierobjekte. In der Ausstellung zeigt sie Lichtobjekte und Gedanken zu Licht auf Stoffbahnen und Plexiglas. Lichtobjekte und Reflexionen darüber, was durch Licht entsteht, sind Inhalt der Ausstellung.

Manu Tober, die sich der „kunstvollen Erforschung, grenzenlosen Beflügelung und radikalen Bewahrung fantastischer Kosmen“ widmet, nimmt in einem Zyklus von 13 illuminierten Bildern Bezug auf die Geschichte: dem faschistischen Weltbild eines deutschen Atlas aus dem Jahr 1938 wird nicht nur Licht eingehaucht, sondern auch mit Übermalungen heftig widersprochen. Leidenschaftlich plädiert die Künstlerin für die Lernfähigkeit des Menschen und einen respektvollen Umgang im Miteinander und mit der Natur.

Literarisches Konzept: Beatrice Simonsen.
Mit finanzieller Unterstützung der Grazer Autorinnen Autorenversammlung – Burgenland.

Fotogalerie © Dirk Simonsen

Fotos v.o.n.u. © manutober und Brigitte Weiler, Luitgard Eisenmeier, Peter Pessl
Beitragsbild © manutober

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Kunstprojekt von Manu Tober und Brigitte Weiler
Mit den Autor*innen Luitgard Eisenmeier und Peter Pessl
Literaturkonzept: Beatrice Simonsen für Kunst und Literatur