Nachlese: Sprach Feuer Werk

Seit 2013 bietet das Symposion Europäischer Bildhauer dem LITERATUR RAUM im BILDHAUERHAUS auf dem Hügel von St. Margarethen Platz für eine synergetische Verbindung von Kunst und Literatur. Zum 9. Mal wurden Autorinnen und Autoren eingeladen, sich von den Skulpturen der ehemaligen Bildhauersymposien inspirieren zu lassen. Wie jedes Mal folgte das Publikum gespannt den performativen Lesungen und ließ sich von den Darbietungen überraschen. Der Ort ist dazu angetan, zu experimentieren und die literarische Avantgarde zu zeigen. Experimentelle Lyrik ist das Fach von Ferdinand Schmatz, der aus dem Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst Wien die jungen  AutorInnen Frieda Paris – mit einem berührenden Text zur Bildhauerin Alina Szapocznikow – und Rick Reuther – mit einem poetischen Ritual vor der Skulptur von Heinz Pistol – mitbrachte. Die österreichisch-amerikanische Autorin Ann Cotten reiste aus Berlin an, um die Inspirationen, die aus der Beschäftigung mit Sprache entstehen, noch zu bereichern. Nachdem der argentinische Gitarrist Diego Muné dem Programm einen fulminanten Schlusspunkt gesetzt hatte, fand der Tag am Feuer vor dem Abendhimmel seinen Ausklang.

Kurzfilm: https://vimeo.com/213076402

Idee / Konzept / Organisation: Beatrice Simonsen für Kunst und Literatur in Kooperation mit dem Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst Wien, GAV und SEB. Mit herzlichem Dank für die Förderungen von Bundeskanzleramt-Sektion Kunst, Kulturabteilung des Landes Burgenland, Gemeinde St.Margarethen und unserem Sponsor Baufirma WAHA.

Fotogalerie: Dirk Simonsen
Film: Johan Simonsen

Seitwärts : [Poetologische Ortungen]

Die Autorin und freie Radiomacherin Wally Rettenbacher gestaltete eine poetische Sendung für Radio FRO 105,0 – Freier Rundfunk Oberösterreich über die Anthologie “Grenzräume – eine literarische Spurensuche im Burgenland” (Hg. Beatrice Simonsen in der edition lex liszt12), in der das Grenzland Österreich/Ungarn aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet und reflektiert wird:

Seitwärts: Poetologische Ortungen

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Zsuzsa Rakovszky, Wally Rettenbacher, Beatrice Simonsen an der burgenländisch-ungarischen Grenze

 

Sendung jetzt hören
Sendungstitel: Grenzräume: eine literarische Spurensuche im Burgenland

Gastautor*innen: Beatrice Simonsen, Herausgeberin des Buches, Balázs Both, Wolfgang Millendorfer (Einspielung), Zsuzsa Rakovszky.

Aufnahme, Sendungsgestaltung: Wally Rettenbacher.

!!!Fotos [online]: Ábel Both

In dieser “pannonischen Reflexion” beschäftigen sich eingeladene Autorinnen und Autoren aus Österreich und Ungarn über die Grenzen hinweg in einer Art literarischen Bestandsaufnahme mit den unterschiedlichen Lebenswelten, Menschen, Ethnien und Sprachen, sowie mit verschiedenen Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Literatur, die diese Region prägten und prägen. Vervollständigt durch feinsinnige Landschafts- und Stimmungsbeschreibungen ergibt dieses Buch ein Zeitdokument erster Ordnung.

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Gemeinsam mit den Gastautoren und -autorinnen Balázs Both und Zsuzsa Rakovszky aus Sopron sowie Wolfgang Millendorfer aus Mattersburg (Einspielung), begaben wir uns mit Beatrice Simonsen entlang dieser geschichtsträchtigen Demarkationslinie auf einen poetologischen Streifzug durch, in und über die Zeit einer Region.

Die “Grenzräume” wurden live aufgenommen am Sonntag, den 30. Oktober 2016 in Siegendorf (Interview mit Beatrice Simonsen im Gasthaus Sonnenstrahl), sowie an der österreichisch-ungarischen Grenze zwischen Sopron und St. Margarethen, am und um dem “Tor zur Freiheit”, das anlässlich des Falls des Eisernen Vorhanges im Jahr 1989 errichtet worden ist. Als Ergebnis dieses Streifzugs ist ein poetischer “Hörnimbus” entstanden, ein grenzüberschreitendes Audiodokument begleitend zum Buch!

English Translation

Beatrice Simonsen’s book Grenzräume: eine literarische Spurensuche im Burgenland (edition lex liszt12) explores her native homeland of Burgenland – a borderland between Austria/Hungary – from differing views and differing perspectives.

In this “Pannonian reflection”, the invited authors from both Austria and Hungary engage in a kind of ‘literary bordering’ with the different worlds of lives, people, ethnicities, and languages as well as with various personalities from politics, art and literature who shape this region. Not to mention the great landscapes and mood descriptions!

In this program, Beatrice Simonsen, together with the guest authors Balázs Both and Zsuzsa Rakovszky from Sopron, and Wolfgang Millendorfer from Mattersburg, embark upon a poetological journey along this intriguing border region through, into and over historical timelines of demarcation.

The “border areas” were recorded live on Sunday, 30th October 2016 in Siegendorf (the interview with Beatrice Simonsen taking place at the Gasthaus Sonnenstrahl) as well as on the Austro-Hungarian border between Sopron and St. Margarethen both at, and around, the Gate to Freedom. The result is a poetic höronimbus of the first order!

English Translation: Marcus D. Niski, 11/2016

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Musik:

Pristup – Burgenland

Pristup – Oj, Jelena

Kálmar Pál – Elmonadi jaj de nehez [it is difficult to tell]

Kálmar Pál – Szomoru vasarnap [gloomy sunday]

Vali Racz – Cserlnek magaval

Gábor Putnoky – Egyszer lattam a tengert

D´housemusi – Komisch Pannonisch

Németh Dénes – Hallgató Csárdás

Leningrad Cowboys – Those were the days

Jenö Takács – Sonata breve op 67

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Verlage/Editionen

“Grenzräume. Eine literarische Spurensuche. Beatrice Simonsen (Hg.). edition lex liszt12. Oberwart. 2015.

Reihe: die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik (Hg. von Jürgen Krätzer).Bd. 264, 61. Jahrgang. Wallstein-Verlag.Göttingen.2016.

Online Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Zsuzsa Rakovszky´s Gedicht mit freundlicher Genehmigung des Wallstein Verlages!

Zsuzsa Rakovszky “Címkék: nyár, Balaton, felejtés, olasz filmek – Stichworte: Sommer, Balaton, Vergessen, italienische Filme”. Übersetzung ins Deutsche Anne-Marie Kenessey.

Zsuzsa Rakovszky
Stichworte: Sommer, Balaton, Vergessen, italienische Filme

Augustsüße, der Geschmack von schmelzendem
Eis und Sommersonne in unserem Mund.
In Schlappen laufen wir herum, vor Hitze fahl
der Himmel, wie im eigenen Zimmer.
Das Leben endloser Urlaub,
ein Garten, wo jetzt und auf ewig Sommer ist,
vom Über-Ich mit dem Flammenschwert unbehütet – Musik
und das schlangenlose Eden sonnenglänzender Körper.

Eine mächtige Lavalampe, die Sonne brennt,
sinkt hinter die Bergkette des anderen Ufers.
Im Ferienheim der Kunstseidefabrik
am Pingpongtisch
ein kleiner Auflauf[1]. Rolling Stones wird gespielt
in der Bar, das Schilfrohr schwankt im Abendwind.
Die Neonreklame des Seehotels flammt.
Wir schlüpfen aus den schweren, nach Wasser riechenden Badeanzügen.

Fischgeruch. Mückenreiche Abenddämmerung.
Im TV-Zimmer brennt schon das Licht.
In der Ferne ein Knall. Hinter dem Horizont
wechselt die Kulisse. In den Gartenkinos
unter den Palmen eines anderen Lebens
blitzen die Schultern italienischer Filmsterne.
Rauch steigt auf. Neue Losungen werden an die Himmelstafeln
geschrieben: Vergessen, Leere, Leichtigkeit.

Die Armbanduhr knackt: jetzt wechselt das Zeitalter.
Etwas ist jetzt für immer vorbei.
Die Filmmusik ist endgültig verklungen.
Das metallische Zirpen der Grillen ertönt.
Glimmende Kippen, Sternschnuppen
zeichnen eine glühende Flugbahn an den Himmel.
Das Café Meerjungfrau wird eben geschlossen.
Die Nähe des Wassers ist zu spüren, im Dunkeln.

Aus dem Ungarischen von Anne-Marie Kenessey
[1] Anm.: Menschenauflauf

Címkék: nyár, Balaton, felejtés, olasz filmek
Augusztus édessége, olvadó
fagylalt és napsütés íze a szánkban.
Papucsban járkálunk hőtől fakó
égbolt alatt, akár saját szobánkban.
Az élet végtelen vakáció,
egy kert, ahol most és örökre nyár van,
s lángpallossal nem őrzi a felettes én – zene
és napsütötte testek kígyótlan édene.

Hatalmas lávalámpa, ég a nap,
a túlpart hegysora mögé alászáll.
A műselyemipari vállalat
üdülőjének pingpongasztalánál
kisebb tömeg. Rolling Stonest játszanak
a bárban, esti szellőben ing a nádszál.
A Tó Hotel neonreklámja lángol.
Kibújunk vízszagú, nehéz fürdőruhánkból.

Halszag. Szúnyogban gazdag alkonyat.
A tévészobában már ég a villany.
Távol dörej. Díszletet váltanak
a láthatár mögött. A kertmozikban
egy másik élet pálmái alatt
olasz filmcsillagok válla villan.
Füst száll. Új jelszavak íródnak épp az ég
tábláira: felejtés, üresség, könnyűség.

Karóra kattan: most vált korszakot.
Valaminek most van örökre vége.
A filmzene végleg elhallgatott.
Fölcsap a tücskök fémes csiriplése.
Parázsló csikkek, hullócsillagok
rajzolnak izzó röppályát az égre.
A Hableány presszóban zárnak éppen.
A víz közelségét érezni a sötétben.

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Die Autorinnen und Autoren:

Beatrice Simonsen lebt als Kulturveranstalterin, Autorin und Literaturkritikerin in Wien und im Burgenland. Literarische Veröffentlichungen in Anthologien (2016 in „Behaust. Menschen unter Dach im Burgenland“ hg. von Katharina Tiwald, in „Beherrschen Sie sich“ hg. von Elena Messner und Eva Schörkhuber). 2015 Herausgabe von „Grenzräume. Eine literarische Spurensuche im Burgenland” (edition lex liszt 12), 2005 “Grenzräume. Eine literarische Landkarte Südtirols” (Edition Raetia). Seit 2013 Konzeption und Organisation von Projekten für “Kunst und Literatur”.

Zsuzsa Rakovszky was born in Sopron and earned a teaching certificate in Hungarian and English from the University of Budapest. From 1975 to 1981, she worked as a librarian. She published two poetry collections: Jóslatok és határidők (Prophecies and Deadlines) in 1981 and Tovább egy házzal (One house up) in 1987. Rakovszky received the Attila József Prize in 1987. She has won numerous prizes as one is the Tibor Déry Prize and the (Robert) Graves Prize.
Rakovszky has translated works by a number of English and American poets into Hungarian. Aswell she published prolific publications in numerous anthologies.
Selected works:
Fehér-fekete (white-black), poems (1991), Egyirányú utca (One way street), poems (1998), A kigyó árnyéka, deutsche Veröffentlichung unter: [Im Schatten der Schlange] (2005)

Wolfgang Millendorfer wurde am 1. Oktober 1977 in Eisenstadt geboren und wuchs in Sigleß auf. Er studierte in Wien und lebt und arbeitet heute als Journalist und Autor in Mattersburg. Er wirkte an Theater- und Filmprojekten mit, ist Initiator verschiedenster Kunst-Events und Musik-Experimente und veröffentlichte unter anderem die Erzählbände Stammgäste (edition lex liszt 12, 2007) und Doppelgänger (edition lex liszt 12, 2011). Zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt Burgenlandstiftung Theodor Kery 2012, der Burgenländische Literaturpreis 2011, das Aufenthalts-Stipendium des Landes Burgenland im Künstleratelier Paliano, Italien (April 2011). web: www.wolfgang-millendorfer.at

Balázs Both, geboren 1976 in Sopron. Zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften seit 1999 sowie in der Anthologie “Gedichte des Jahres”. Gedichtbände:Árnyéktalan pillanat (2005) (Ein Moment ohne Schatten), Látogatód jön (2010) (Der Besucher kommt), Ha nem marad kimondatlan (2013) (Wenn es ungesagt bliebe). Der Autor lebt in Sopron.

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wallyre 11/16

12.11.2016

Text: Wally Rettenbacher, Fotos: Ábel Both

Nachlese Gemeinsam unterwegs am 25. September

“eine gewellte steinkulisse, besetzt, belesen und angehüpft, und eine literarische ameisenstraße, die sich durch die büsche schlägt, bei kaiserwetter, gesäumt, beäugt von den gottesanbeterinnen, den hügel-herrinnen” (Natalie Deewan)

… Der Sonntag Nachmittag auf dem Hügel von St. Margarethen begann mit lebhaften Erinnerungen an die Zeit der Internationalen Bildhauersymposien von SEBASTIAN PRANTL während einer Führung durch das Bildhauerhaus und zu einigen Skulpturen im Rahmen von Tag des Denkmals. Gespannt folgte eine Gruppe von rund 60 Personen seinen Ausführungen, auf die eine Lesung von SUSANNE TOTH zum Thema Denkmal folgte. Die Autorin nützte den Eichenhain rund um die Skulptur von Krishna Reddy als Raum für eine eloquente Performance. Danach lockten drei Autorinnen von kollektiv roman – NATALIE DEEWAN, VEZA QUINHONES-HALL und EVA SCHÖRKHUBER – ihre Zuhörer_innen hügelaufwärts, immer gemeinsam unterwegs auf den Spuren eines literarischen Experiments. Die mitreißende Wanderung auf dem dicht bewachsenen Hügel zwischen geheimnisvollen Sandsteinfiguren machte schließlich neugierig auf den letzten Programmpunkt im Bildhauerhaus, einer musikalischen Lesung mit LUNA AL-MOUSLI und SALAH AMMO. Beide aus Syrien stammend, zauberten sie eine fremdartige Welt in das burgenländische Bildhauerhaus, das somit die lange Tradition der Beherbergung internationaler Kunstschaffender wieder aufgreift. An diesem Tag war für die Gäste im LITERATUR RAUM im BILDHAUERHAUS etwas Besonderes spürbar, nämlich dass wir alle Teil einer gemeinsamen Bewegung auf dieser Welt sind.

Informationen zum Programm vom 25. September 2016

Fotos: © Natalie Deewan (Foto unten) und Dirk Simonsen (Galerie oben)

Literatur Raum im Bildhauerhaus 2016

10. April: Literatur Raum im Bildhauerhaus – Nachlese

 

“PASSION”

Sonntag, 10. April 2016

CLEMENS BERGER, MILA HAUGOVÁ und GERHARD JASCHKE lasen zum Thema “Passion” anlässlich der heuer im Sommer in St. Margarethen im Burgenland stattfindenden Passionsspiele. Der Cellist des Haydn Quartetts NIKOLAI NEW spielte einige Sätze aus der 5.Suite in c-moll von Johann Sebastian Bach.

Die Doppeldeutigkeit des Wortes „Passion“ war Thema des letzten Literatur Raums. Dreht es sich einerseits um das leidenschaftliche Tun, um die Liebe zu Dingen oder Menschen, handelt es sich andererseits um das Leiden schlechthin, um die Passion in christlichem Sinn. Dieses Thema wurde von den Autoren ebenso vieldeutig angesprochen und weitergesponnen, wobei die 1969 von Franz Xaver Ölzant in Kreuzform geschaffene Skulptur Pate stand und Musik von Johann Sebastian Bach, dem Komponisten berühmter Passionsmusiken, den klassischen Kontrapunkt zur zeitgenössischen Literatur setzte. Ein Spaziergang zur Skulptur, die prominent über dem Bildhauerhaus thront, gab den prächtigen Blick auf die frühlingshafte Landschaft frei.

Seit mittlerweile 40 Jahren ediert der Wiener Autor Gerhard Jaschke die „Zeitschrift für Literatur und Kunst“ Freibord, die auch unter den Namen Feribord oder Firebord erscheint, was bereits die Neigung des Autors zum Wortspiel verrät. Jaschkes Interesse gilt der bildenden Kunst, der Konkreten Poesie, Fluxus und Dada. Schon seit den frühen 1970er Jahren erschienen Publikationen oft in gedanklichem Bezug auf Künstler- und Autorenkollegen. Es ist ein Schreiben mit inhaltlicher Welthaltigkeit einerseits (Kurzprosa) und mit formaler methodischer Beschränkung (Lyrik) andererseits. 1986 bis 2009 war erLehrbeauftragter für Literaturgeschichte an der Akademie der bildenden Künste, wo auch der Bildhauer Franz Xaver Ölzant tätig war – aus gegebenem Anlass bezieht Jaschke sich u.a. auf die Kreuz-Thematik in dessen Werk.

Mila Haugová lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin (z.B. von Georg Trakl, Ingeborg Bachmann oder Friederike Mayröcker) in Bratislava und Levice. Sie war Redakteurin der Literaturzeitschrift Romboid und veröffentlichte bisher 18 Gedichtbände, die in viele Sprachen übersetzt wurden, darunter erschienen fünf Bücher auf Deutsch. Die vielen Formen der Liebe werden in Mila Haugovás Werk immer wieder poetisch beschworen, die suggestive Sprache, die sie hierzu findet , ist subtil und zärtlich in ihrer menschlichen Hinwendung vor der Anwesenheit Gottes. Bruchstückhafte Bilder muten surreal wie Träume an, eingebettet in eine stets präsente Tier- und Pflanzenwelt. „Schlaflied wilder Tiere“ ist der Titel ihrer zuletzt in der Edition Korrespondenzen zweisprachig edierten Gedichte (Übersetzung gemeinsam mit Anja Utler).

Prosa ist das bevorzugte literarische Genre von Clemens Berger, der als freier Schriftsteller in Wien und zeitweise in Deutschland lebt. Der in Oberwart im Burgenland aufgewachsene Autor studierte Philosophie und veröffentlichte neben einigen Werken für das Theater mehrere Erzählbände und bisher vier viel beachtete Romane (u.a. Das Streichelinstitut). Mit feinem Gespür fühlt er der psychologischen Disposition seiner Figuren nach, die zeitweise von skurrilen Auswüchsen dominiert werden wie in der Erzählung „Und hieb ihm das rechte Ohr ab“, wobei der szenische Hintergrund – die Aufführung von Passionsspielen – an St. Margarethen erinnert.

Auf Anregung des Gründers der Internationalen Bildhauersymposien in St. Margarethen Karl Prantl übersiedelten die Passionsspiele 1961 in den Römersteinbruch der Esterhazyschen Privatstiftung. In der einzigartigen Naturkulisse des Steinbruchs kann dort den Besuchern ein unmittelbares, fast wirklichkeitsnahes Miterleben der Passion ermöglicht werden. Die Passionsspiele finden vom 18. Juni bis 21. August 2016 statt.

Nächster LITERATUR RAUM im BILDHAUERHAUS ist am 25. SEPTEMBER 2016!

Küstlerbiographien:

Clemens Berger

Clemens Berger (Foto: Andreas Duscha)

 


geboren 1979 in Güssing, aufgewachsen in Oberwart, studierte Philosophie in Wien, wo er als freier Schriftsteller lebt. Bücher: Der gehängte Mönch (2003), Paul Beers Beweis (2005), Die Wettesser (2007), Gatsch / Und Jetzt. Zwei Stücke (2009), Und hieb ihm das rechte Ohr ab (2009), Das Streichelinstitut (2010), Ein Versprechen von Gegenwart (2013)

Mila Haugová

Mila Haugová  (Foto: privat)

Mila Haugová
(Foto: privat)

 

geboren 1942 in Budapest, lebt und arbeitet als Dichterin und Übersetzerin in Levice und Bratislava in der Slowakei. Der Band “Schlaflied wilder Tiere” ist eine von der Autorin zusammengestellte Auswahl aus den beiden Gedichtbänden Biele rukopisy (»Weiße Handschriften«, 2007) und Miznutie anjelov (»Das Schwinden der Engel«, 2008). Ebenfalls in der Edition Korrespondenzen erschien 2001 der Gedichtband “Sandatlas”.

Gerhard Jaschke

Gerhard Jaschke (Foto: www.literaturundwein.at)

Gerhard Jaschke
(Foto: www.literaturundwein.at)

 

geboren 1949 in Wien, seit 1970 freischaffender Autor. 1976 gründete er zusammen mit Hermann Schürrer die Zeitschrift und Edition Freibord, die auch unter den Namen Feribord oder Firebord erscheint. Kurzprosa, Lyrik und Zeichner, Texte zu bildender Kunst. Aktuelle Auswahl seiner zahlreichen Publikationen: Seltsam fruchtbar. Anagramme (2008), Weltbude (2009), Abwesend anwesend – Anwesend abwesend. Noch mehr Weltbude (2012), kopflinien kontakte (2014), Kurumba oder Die nicht geschriebenen Sätze (2014). Bis 2015 gemeinsam mit Ilse Kilic Geschäftsführer der Grazer Autorenversammlung.

Seine Lesung bezieht sich zum Teil auf die Skulptur von Franz Xaver Ölzant: geboren 1934 in der Steiermark, 1955-1958 Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, 1958- Ateliers in Niederösterreich und Wien, 1986-2001 Professur an der Akademie der bildenden Künste Wien. Mehr Informationen zu seinem Werk finden Sie unter www.oelzant.at

Nikolai New

Nikolai New (Foto: privat)

Nikolai New
(Foto: privat)

geboren in Reading (England),  studierte Musik (Cello) in Cincinatti (USA) bei Zara Nelsova und dem La Salle Quartett, an der Menuhin Music Academy in der Schweiz bei Radu Aldulescu und an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf bei Johannes Goritzki. Meisterklassen besuchte er bei David Geringas, Boris Pergamenschikow und Pierre Fournier.

1985 bis 1987 konzertierte er weltweit mit der Camerata Lysy Gstaad und Lord Yehudi Menuhin, danach war er Mitglied der Deutschen Kammerakadiemie Neuss. Nikolai New ist seit 1991 Mitglied des Haydn Quartetts und gefragter Kammermusiker auch im Bereich der alten Musik.


Besonderer Dank gilt unseren Partnern, Unterstützern und Sponsoren:

Bundeskanzleramt Österreich – Kunst, GAV, Gemeinde St. Margarethen, Land Burgenland – Kultur, Symposion Europäischer Bildhauer und Baufirma WAHA

Fotos: Dirk Simonsen

5. April: Beherrschen Sie sich

Theseustempel

 

Regierungsviertelungen ist soeben im Verlag Sonderzahl erschienen. Herausgeberinnen sind Elena Messner & Eva Schörkhuber. BUCHPRÄSENTATION ist am 5. April 2016 um 19 Uhr in der Alten Schmiede, Wien.

 

Mit Textbeiträgen von Thomas Ballhausen, Mascha Dabic, Natalie Deewan, Magdalena Diercks, G.H.H., Elena Messner, Zlatko Pakovc, Ivana Perica, Jorghi Poll, Dalibor Plecic, Robert Prosser, Alex. Riener, Eva Schörkhuber, Beatrice Simonsen und Dominik Srienc

Fotocollagen von Dana Rausch und Karten von Philipp Markus Schörkhuber
ca. 140 S.
Format: 13,5 x 21 cm
€ 15,–
ISBN 978 3 85449 450 8
Sonderzahl: “Beherrschen Sie sich – Regierungsviertelungen”

Ein kühler Wind weht vom Heldenplatz zu uns herüber …

Wie weit es wohl reicht, das Regierungsviertel in Wien? – Hofburg, Ballhausplatz, ja, und dann? Und: Wie weit reichen die Regierungen hinein in unsere alltäglichen Geschäfte und Gepflogenheiten, in unser Leben, in unsere Körper? – Nicht auf einem eindeutig abgesteckten Territorium bewegen wir uns mit diesen Fragen, sondern auf einem vagen, vielschichtigen Terrain, mit dem sich zeitgenössische Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Polen, Serbien, Österreich und Kroatien auseinandergesetzt haben. Literarisch befragt wurden die Plätze, Schichten und Geschichten, die Gebäude und die in diesen gepflogenen und tradierten Umgangs- und Regierungsformen.

Unwiederbringlich (G. H. H.) sind jene Momente, die sich freimachen, die auftauchen, wie im Freien Fall (Dalibor Plecic), die so manches aufwirbeln im Wohn­zimmer der Republik (Beatrice Simonsen), die den Lonely Planet (Mascha Dabic) umkreisen wie widerspenstige Trabanten. Eine Aufsichtsprüfung (Elena Messner) gefällig, vielleicht, zum Blankpolieren der Nerven und Bilanzen? Oder, besser noch, mit Otto, Robert, Jon (Natalie Deewan) zu konversieren, Beziehungen zum Hegemon sind nicht von Nachteil, Sie wissen schon! Die Zeichen zu deuten, auffliegen oder verschwimmen zu lassen hilft die Kleine Zeichenkun­de (Thomas Ballhausen) und ob Eins Zwei Drei Vier (Alex. Riener) Aufmarsch oder Abmarsch bedeutet – nun, das müssen Sie schon selbst herausfinden. Klappe, die nächste (Jorghi Poll) und schon geht’s weiter – auf zur Podiumsdis­kussion (Ivana Perica), bei der Sätze zu Legehennen und Gedanken zu Suppenhühnern werden, ein eifriges Gegacker, jedenfalls. Die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden (Eva Schörkhuber), allerdings, die legt sich kein Ei und pfeift auf die Bodenhaltung. Ein Kopf ist er sich selbst (Domenik Srienc), mein lieber Schwan, ein krauser Kopf. Auch Das Geschenk vom Kaiser (Magdalena Diercks) ist eine Frage der Zeit, die ihre Zähne in die Pflastersteine schlägt.

Leseproben:

Tagsüber wandern wenige Touristen übern Helden­platz, verlangsamen den Schritt, gehen an den Fiakern vorbei, um, so scheint es, ein wenig vom Wiener Idiom zu erhaschen, welches Reiseführer oder Tourguide versprechen und die schnauzbär­tigen, mit Melonen behüteten Kutscher tatsäch­lich in erstaunlicher Prägung beherrschen. (Robert Prosser: Weißwasche)

Die üppigen Rosenbeete im Volksgarten, die glatten Steinfliesen der inneren Burg, die dunsti­gen Innenräume der Nationalbibliothek, der gekehrte Vorplatz der Stallburg, auf dem sich die gestriegelten Lipizzaner recken, sind mein Zu­hause. Die Fiakerfahrer mit ihren dicken Ross­schwänzen, den mageren Pferden und den aufge­putzten Kutschen am Heldenplatz, die asiatischen Cellisten unter der Michaelerkuppel, die blinden Sänger am Graben, die durch die Innenstadt lärmenden Schulklassen, die vorm Haas Haus jausnenden Kindergartenkinder, die als Edelmänner verkleideten Slowaken am Stephans­platz, die geschminkten Damen mit den Ein­kaufssackerln teurer Boutiquen, in denen sie ihr Mittagessen ins Büro tragen, die jungen Männer in schwarzen Anzügen mit zu langen Ärmeln, zu kurzen Hosen und ungeputzten Schuhen, die knienden Bettler an den Straßenecken sind meine Familie.
(Beatrice Simonsen: Im Wohnzimmer der Republik)

Texte zum Anhören

Fotos: Natalie Deewan und Eva Schörkhuber

Soundspaziergang2014

Wohnen im Burgenland

Neu erschienen ist ein Sammelband mit Erzählungen, herausgegeben von Katharina Tiwald “BEHAUST. Menschen unter Dach im Burgenland” (Edition Marlit, 2016. Beitragsfoto: Buchcover unter Verwendung eines Kunstwerks von Monsieur Le Flash) mit Beiträgen von Klaus Jürgen Bauer, Manfred Chobot, Christl Greller, Wolfgang Millendorfer, Beatrice Simonsen, Susanne Toth u.v.a.

Notwendigkeit, Kokon und zweite Haut: das alles sind Häuser und Wohnungen, Geschichtenspeicher obendrein. Außerdem formen sie die Landschaft einer Gegend in fast ebenso großem Ausmaß wie die Natur – und sind doch auch den Moden der Zeit verhaftet.
Der Sammelband spürt in Texten heimischer AutorInnen den Verhältnissen zwischen Häusern und ihren Bewohnern nach: eine Einladung dazu, das scheinbar Gegebene mit neuen Augen zu betrachten.

Ausschnitt aus dem Text von Beatrice Simonsen “Die hellen und die dunklen Zimmer”:

1989 fiel der Eiserne Vorhang. Nur ein halbes Jahrhundert hatte die Epoche der Abschottung an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn gedauert und doch: wie folgenreich war sie für die Menschen gewesen. Heute ist die Sackgasse wieder durchlässig. Auf der Landstraße windet sich in endlosen Schlangen der Verkehr durch die enge Schlucht der ehemaligen Fabriksgebäude. Die geplante Umfahrung, eine Autobahn als Anschluss an den Verkehrsweg Richtung Ungarn, wurde bis jetzt nicht umgesetzt. Die Fabrik steht wie ein beschädigtes Denkmal in der Landschaft. Auf Youtube finde ich Bilder der Ruine mit schwungvoller Musik unterlegt. Der Fotograf ist von dem „Lost place“ begeistert und dringt mit seiner Kamera immer tiefer ins Innere der verwahrlosten Gebäude vor. „Mein Opa hat hier gearbeitet“, schreibt er. Dazu das lapidare Posting eines anderen: „Mein Opa hieß Conrad Patzenhofer“. Die nächste Generation wirft Blicke in die verlassenen Zimmer der Geschichte. Der eine leuchtet sie aus, der andere schließt die Tür. Der Wind der Zeit treibt Bilder von Licht und Schatten vor sich her.
Vögel picken Löcher in die mit Styropor verkleideten Silos. Turmfalken schweben im Aufwind. Hoch oben auf dem Dach sammeln sich Störche zum Abflug. Die Wände der Silos tragen Werbeplakate für eine Welt der Schönheit: Permanent Make-up, Solarium, Kunstnägel, Friseur, Massage, Maniküre, Pediküre. Ein Versprechen für die Frau. Was dem Mann versprochen wird, lesen wir nicht. Der Flohmarkt vor den Toren von Diskontern und Club-Bars mit grenzüberschreitendem Publikum ufert aus. Eine Ungarin breitet im Kofferraum ihres Autos ein paar Schuhe und Handtaschen zum Verkauf aus. Eine Roma dreht sich lachend und lässt ihren knallgrünen Rock fliegen. Die Händler aus Niederösterreich haben reichlich Ware aus dem untersten Preissegment. Auf der anderen Straßenseite wirbt ein Night Club, daneben der Security Service. An den Rändern der Landstraße wuchern Tankstellen neben Erdbeerfeldern. Die Annasäule an der Kreuzung Richtung Siegendorf „Tabernakelpfeiler mit plastischer Gruppe hl. Anna mit Engeln, bez. ER / 1670 / REN: 1956 / 1714 / F.D.Z. / 1698“ ist dem Kreisverkehr gewichen. Ein Schäferhund rast kläffend entlang dem Zaun vor abgewrackten Autos. Die stillgelegten Gebäude liegen da wie ein abgenagtes Gerippe. „Achtung! Videoüberwachung! Nichtberechtigten ist der Zutritt verboten! Eltern haften für Ihre (sic!) Kinder! Die Nichtbeachtung dieses Hinweises führt ausnahmslos zur Anzeige wegen Besitzstörung!“ Die Ausweidung hat eingestürzte Dächer, zersplitterte Fenster und eingetretene Türen hinterlassen. Die Ziegelmauern bröckeln, Schuttberge türmen sich. Die neueren Ytong- und Betonteile halten stand, nicht aber die Ästhetik der 1960er Jahre im Vergleich zur Harmonie der Jahrhundertwende. Zwischen den Ruinen wuselt es. In der Gewerbezone werden Geschäfte gemacht. Autos mit ungarischen und österreichischen Kennzeichen parken vor den meist notdürftig renovierten Gebäuden. Plakate und Firmenschilder weisen Kleingewerbe aus, geboten werden Autoreifen, Autoglas, Autos, Elektrotechnik, Software, Babyartikel, Kosmetika, Bauholz, Brennholz, Fliesen, Natursteine, Grabsteine und Handel mit nicht näher ausgewiesenen Waren. Eine Organisation rettet das Kind und eine freie christliche Gemeinschaft alle. Moderne Großunternehmen für Gummiteile, Elektronik und Mechanik bieten Arbeitsplätze. Von zwei Seiten wachsen Einfamilienhäuser den Abstand zwischen der Fabriksruine und den umliegenden Dörfern zu. Richtung Grenze lugen Windräder über die Baumwipfel des Waldes. Die Grenze ist offen. Die Welt ist rund. Sie dreht sich.
Die Direktorsvilla wird von einer Lärmschutzwand gegen den strömenden Verkehr abgeschirmt. Die Wand trägt blaue Augen. Dichte Sträucher wehren das Hereinwuchern der Gewerbezone ab. Das Haus meiner Kindheit ist wie damals eine Insel. Statt der rumorenden Fabrik brandet nun der Lärm des geschäftigen An- und Abfahrens der Handelstreibenden an das Haus. Die Wellen nach Osten schwappen zurück in den Westen. Das Haus unsinkbar. Immer noch beschirmt von der mächtigen Platane. Immer noch das raue Krächzen der Krähen, das aufwühlende Gurren der Tauben, der Ruf des Käuzchens bei Nacht, der trillernde Gesang der Nachtigallen, die sanfte Verführung des Pirols.

© Beatrice Simonsen